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Grundlagen: Baustein 4: TTIP – ein Programm für Wohlstand? 191 Eine andere Kritik rankt sich um das Wort „geheim“. Finstere Mächte verschwören sich gegen die Bürger, so geht die Mär (typisches Zitat: „Die Profitgier einiger weniger stellt sich eindeutig gegen das Gemeinwohl“). Dies offenbart ein eigenartiges Weltbild. Über viele Themen kann und muss man diskutieren, aber Regierungen wollen ihre Bürger nicht grundsätzlich über den Tisch ziehen. Dafür ist auch der Verhandlungsmodus kein Beleg: Gespräche zwischen Staaten sind traditionell vertraulich, wie übrigens auch Koalitionsverhandlungen, Tarifrunden oder selbst Vorstandssitzungen von Parteien. Zugleich erkennt man in der EU und in Berlin die Zeichen der Zeit, setzt auf größtmögliche Transparenz – und informiert regelmäßig über den Stand der Verhandlungen. Letztlich entscheidend sind auch nicht die Verhandlungen, sondern die Ergebnisse. Diese am Ende zu genehmigen, ist in der repräsentativen Demokratie aber nicht Aufgabe der Organisation X oder der Partei Y oder einer wie auch immer zu definierenden „kritischen Öffentlichkeit“ , sondern der dafür vorgesehenen Gremien. Das können EU-Institutionen sein oder die Parlamente der Mitgliedstaaten, darüber gibt es im konkreten Fall rechtlichen Streit, den am Ende notfalls Gerichte entscheiden müssen. Auch die Idee, bestimmte Streitigkeiten vor mit Experten besetzten Streitschlichtungsgremien zu verhandeln, ist nicht des Teufels, sondern tausendfach (auch von Deutschland) geübte Praxis bei komplizierten Investitionsvorhaben, die Unternehmen, die Milliarden investieren, Sicherheit vor willkürlicher Gesetzesänderung geben – weil sie sonst nämlich nicht investieren. Ob das bei TTIP sinnvoll ist oder man hier am Ende den normalen Rechtsweg eröffnet, darüber muss man diskutieren – aber nicht agitieren. Am Ende ist ein Handelsund Investmentabkommen typischerweise vor allem eines: ein Programm für mehr Wohlstand. Der Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen führt – und das ist seit Jahrzehnten in der Praxis und wissenschaftlich belegt – zu mehr Handel und Wohlstand. In der Summe können Unternehmen kostengünstiger verkaufen, was übrigens vor allem exportstarken Ländern wie Deutschland zugutekommt. Preise sinken, wovon der Kunde und Bürger profitiert. Abschottung spaltet, Handel verbindet – und macht die Welt übrigens meistens auch friedlicher. (Marc Beise, Leiter der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung, in: Süddeutsche Zeitung v. 10.5.2014, S. 23) Pro TTIP: Programm für Wohlstand Die Aufregung über ein transatlantisches Handelsabkommen ist groß in Deutschland, das sperrige Kürzel „TTIP“ für Transatlantic Trade and Investment Partnership macht Karriere. Und in der Tat gibt es ein starkes Argument gegen das geplante Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten: Verträge zwischen zwei so wichtigen Welthandelsräumen gehen garantiert zulasten Dritter. Statt bilateral würden Brüssel und Washington deshalb besser im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO verhandeln, in der beinahe die ganze Welt Mitglied und alle Staaten gleichberechtigt sind. Dieses Argument aber hört man in den vielen TTIPVeranstaltungen nicht. Stattdessen allerlei Verschwörungstheoretisches, häufig gipfelnd in der Forderung, die Verhandlungen so schnell wie möglich abzubrechen. Das wäre so grundfalsch, wie viele Argumente der Kritiker auf geballten Vorurteilen fußen. Angesichts der Radikalität der Kritiker kann jeder, der den Verhandlungen noch das Wort redet, sich aussuchen, ob er Depp sein will oder neoliberaler Bösewicht. Finstere Mächte verschwören sich gegen die Bürger, so geht die Mär – eine seltsame Weltsicht. Dabei gibt es gute Gründe, den grenzüberschreitenden Handel zu erleichtern. Denn zwischen Europa und den USA existiert eine Fülle unterschiedlicher Standards, die das Geschäft erschweren, aber wenig mit Sicherheitsaspekten, Umweltansprüchen oder nationaler Identität zu tun haben. Beispiele? Autos müssen sicher sein, klar – aber warum müssen deutsche Autos, die auf europäischen Straßen sehr zuverlässig unterwegs sind, für die USA noch einmal zahlreiche Sonderbedingungen erfüllen? Medikamente müssen sicher sein – aber warum müssen sich deutsche Pharmaunternehmen kostspielig nicht nur von europäischen Kontrolleuren durchleuchten lassen, sondern auch von amerikanischen? Warum müssen sich die Schuhe eines europäischen Fabrikanten auf dem Weg in die USA um bis zu 50 Prozent verteuern? Insbesondere die USA haben viele sehr spezielle Standards, mit denen sie ihren Markt abschotten – TTIP soll das ändern. Allerdings: Wenn man in Verhandlungen Standards angleichen will, kann dies mal zur Verschärfung der eigenen Bestimmungen führen, mal zur Absenkung. Entscheidend ist, dass bei Verhandlungen jede Seite ihre roten Linien zieht. Wenn man freilich jede Veränderung verhindern will, kann man den internationalen Austausch gleich einstellen. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei g nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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