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Annäherung und Planung: Job und doch eigene Kinder? 213 In früheren Jahrhunderten [waren es] kleine Gruppen, elitäre Minderheiten, die sich den Luxus individueller Entfaltungswünsche leisten konnten. Wo frühere Generationen oft nichts anderes kannten als den täglichen Kampf ums Überleben, einen monotonen Kreislauf von Armut und Hunger, wird nun für breite gesellschaftliche Gruppen ein materielles Niveau [Wohlstandsniveau] erreicht, das Spielräume und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Kaum überschätzt werden kann die Bedeutung der Bildungsexpansion seit den Siebzigerjahren, insbesondere in ihren Konsequenzen für die Frauen. (Ulrich Beck/Elisabeth Beck-Gernsheim: Das ganz normale Chaos der Liebe, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1990, S. 12 ff.) Konstrukteure des eigenen Lebenslaufs Im Bild der klassischen Industriegesellschaft werden kollektive Lebensformen wie russische Puppen ineinander verschachtelt gedacht. Die Klasse setzt die Kleinfamilie voraus, diese die Geschlechterrollen, diese die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, diese die Ehe. Klassen werden zugleich verstanden als die Summe von Kleinfamilienlagen, die sich untereinander gleichen und gegen andere „klassentypische Familienlagen“ (z. B. die Oberschicht) abgrenzen. […] An ihre Stelle tritt nicht nichts, sondern eine andere Art der Lebensführung und Lebensgestaltung, die – daher der Name Individualisierung – nicht mehr in traditionalen Vorgaben „eingebettet“ und verbindlich sind, sondern auf sozialstaatlichen Regelungen beruhen. Diese setzen aber das Individuum als Akteur, Konstrukteur, Jongleur und Inszenator seiner Biografie, seiner Identität, seiner sozialen Netzwerke, Bindungen, Überzeugungen voraus. Schlicht gesagt, meint „Individualisierung“: den Zerfall industriegesellschaftlicher „Selbstverständlichkeiten“ sowie den Zwang, ohne Selbstverständlichkeit für sich selbst und miteinander neue „Selbstverständlichkeiten“ zu finden und zu erfinden. Früher dominierten ständische Heiratsregeln und Gebote (wie die Unauflöslichkeit der Ehe, Mutterpflichten usw.). Diese schnürten die Handlungsräume ein, wirkten verpflichtend, stifteten aber zwischen den Individuen (oft zwanghaft) Gemeinsamkeiten. Dagegen gibt es heute nicht etwa keine Vorgaben, sondern Vorgaben mit umgekehrten Vorzeichen: etwa eine eigene Ausbildungsund Berufskarriere auch als Frau aufzubauen und durchzuhalten, weil Frauen sonst im Scheidungsfall vor dem Nichts stehen und in der Ehe auf das Geld des Mannes angewiesen bleiben – mit all den symbolischen und tatsächlichen Abhängigkeiten, die dies für sie mit sich bringt. Diese Vorgaben aber schweißen gerade nicht zusammen, sondern dividieren auseinander und multiplizieren die Fragen. So zwingen sie jeden und jede, auch innerhalb und unterhalb der Ehe, sich als Konstrukteure der eigenen Biografie [des eigenen Lebenslaufs] zu betätigen – und durchzuhalten. Die meisten sozialen Rechte sind individuelle Rechte. Nicht Familien können sie in Anspruch nehmen, sondern eben nur: Individuen. Genauer: erwerbstätige (oder zur Erwerbsarbeit bereite arbeitslose) Individuen, die Teilnahme an den Sicherungen und Wohltaten des Sozialstaates setzt in den allermeisten Fällen Erwerbsbeteiligung voraus. Erwerbsbeteiligung wiederum setzt Bildungsbeteiligung, beides Mobilitätsbereitschaft voraus, alles Anforderungen, die das Individuum dazu auffordern, sich gefälligst als Individuum zu verstehen, zu entwerfen, zu handeln – oder die Suppe selbst auszulöffeln, die es sich im Falle seines „Versagens“ (angeblich) selbst eingebrockt hat. (Ulrich Beck: Die Erfindung des Politischen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1993, S. 147 ff.) Erläutern Sie den Fachbegriff der „Individualisierung“ sowie deren Ursachen und Folgen. Veranschaulichen Sie den Begriff mit dem obigen Fallbeispiel und weiteren Beispielen. Analysieren Sie anhand der nachfolgenden Informationen, warum es in den letzten 100 Jahren zum Geburtenrückgang in Deutschland kam (insbesondere die Bedeutung von „demografischem Übergang“ und „Individualisierung“). Erläutern Sie anhand des Glossars mit eigenen Worten die Fachbegriffe „Fertilität“ bzw. „zusammengefasste Geburtenziffer“. 1 2 3 4 50 55 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er Ve rla gs | |
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