Volltext anzeigen | |
Annäherung und Planung: Europa – Bilder, Meinungen, Definitionen 359 für die Beantwortung der Frage nach der EU-Zugehörigkeit der Geograf gar nicht zuständig; denn die Frage nach der geografischen Reichweite Europas ist keine geografische Frage, sondern eine politische, die auch mit politischen Argumenten entschieden werden muss. Schon jetzt gehören Räume, die nicht Teil des konventionellen Europas sind, zur EU. Seine Westgrenze liegt in der Karibik. Sie wird markiert von einer kleinen „Insel über dem Winde“: St. Martin. Ihr französischer Teil „ist“ Europa, so wie es weitere französische Territorien „d’outre-mer“ sind. Schon jeder Euroschein ist der Beweis. (Prof. Hans-Dietrich Schultz, Professor für Didaktik der Geografie, 2009: Europa: (k)ein geografischer Kontinent?; http://www.bpb.de/ internationales/europa/europa-kontrovers/38026/standpunkthans-dietrich-schultz) Position B: Macht es überhaupt Sinn, über „Europa“ zu sprechen, solange nicht klar ist, was gemeint ist? „Europa“ ist eine Frage der Definition. Definitionen aber sind Setzungen, die nicht richtig oder falsch sind. Sie können plausibel, in sich widerspruchsfrei und anschlussfähig oder das Gegenteil von alledem sein. Aber sie sind niemals richtig oder falsch. Seit der Name Europa von einer Gestalt der griechischen Mythologie auf einen Raum übertragen wurde, hat sich das Europaverständnis permanent verändert. Geografen, Dichter, Politiker, Historiker und „normale“ Bürgerinnen und Bürger verbinden mit Europa sehr unterschiedliche Vorstellungen. Selbst der geografische Europabegriff und vor allem dessen Abgrenzung nach Osten und Südosten sind nicht unumstritten, auch wenn die große Mehrzahl der Länder, die gewöhnlich zu Europa gezählt werden, davon nicht betroffen ist. […] Die Frage, was Europa ist, lässt sich also nicht allgemeinverbindlich und zeitlos beantworten. Und weil das so ist, erscheint es sinnvoll, Europa nicht als real existierenden Raum, sondern als Prozess und Projekt zu definieren. […] Das wichtigste und erfolgreichste Element des Prozesses ist die Überwindung früherer Gegensätze zwischen Staaten und Gesellschaften sowie die Bereitschaft, sich auf ein gemeinsames Regelwerk zu verständigen. Die Grenzen des Projekts Europa sind dabei variabel […] und müssen von den Europa: Wo verlaufen die Grenzen? Positionen zum Europa-Begriff Position A: Noch immer lernen Schüler und Schülerinnen, dass schon der einfache Blick auf die Karte zeige, dass die Kontinente wirklich da seien und durch die Verteilung von Land und Wasser auch klare Grenzen besäßen, Ausnahme Europa. Hier sei nur im Norden, Westen und Süden die Grenze durch das Meer eindeutig gezogen, im Osten, auf dem Lande, sei es dagegen viel schwieriger, natürliche Marken zu finden. Meist geben heute die Schulbücher das Uralgebirge, den Ural-Fluss, manchmal an seiner Stelle auch den Fluss Emba als Grenze an, außerdem das Ostufer des Kaspischen Meeres und die Manytschniederung bis zum Asowschen Meer […]. Kritik am Kontinentstatus Europas gab es seit dem 19. Jahrhundert, aber ohne nachhaltige Wirkung. […] Generationen von Fachleuten plagten sich damit ab, endlich die „wahre Grenze“ Europas zu finden – und konnten sich nicht einigen. Ja, selbst die Kriterien der Grenzziehung blieben immer umstritten. Sollten nur rein physische Merkmale gelten, oder durfte es auch ein Mix von physischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eigenschaften sein? […] Für die moderne wissenschaftliche Geografie ist dagegen klar, was sich in der Schulgeografie noch nicht allgemein durchgesetzt hat: Räume sind nicht, Räume werden gemacht. Auch die „natürlichen Räume“ sind nicht einfach von der Natur gegeben, selbst wenn sie einem aus der Karte direkt ins Auge zu springen scheinen. Nur weil die üblichen Kontinente in der Schule von Generation zu Generation weitergereicht wurden und werden, konnten sie sich den Anschein der Ewigkeit erwerben und sind heute kanonisiert. Tatsächlich aber sind alle Abgrenzungen von Räumen zweckgebunden, und es gibt somit ebenso viele Räume, wie es Zwecke gibt. Solche Raumgebilde sind weder richtig noch falsch, sondern brauchbar oder unbrauchbar. Wenn heute manche Politiker die Türkei aus der EU mit dem Argument heraushalten wollen, dass sie nicht zum geografischen Europa gehöre, wie man im Geografieunterricht gelernt habe, so liegen sie gleich doppelt falsch. Zum einen gab es im 19. und 20. Jahrhundert immer geografische Europakonstrukte, die auch das Gebiet der Türkei einschlossen, zum anderen ist 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 5 10 15 20 25 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |