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Vertiefung: Der Nahostkonflikt im Spannungsfeld der Interessen internationaler Politik 489 Thesen zur zukünftigen Rolle der Vereinten Nationen Da die Politikwissenschaft die Zukunft nicht voraussagen kann, bleibt eine Prognose über die künftige Rolle der Vereinten Nationen in der internationalen Politik notwendigerweise im spekulativen Bereich. Wir wollen dennoch abschließend einige Bausteine ausmachen, die für Erfolg oder Misserfolg der Weltorganisation entscheidend sein dürften, und diese in fünf Thesen zusammenfassen: ⦁ Erstens wird es darauf ankommen, was die Mitgliedstaaten aus ihren Vereinten Nationen machen. Eine internationale Organisation nach dem intergouvernementalen Bauplan kann immer nur in dem Maße agieren, wie es die sie tragenden Mitgliedstaaten zulassen. […] ⦁ Zweitens gilt es, das Gefälle zwischen den vollmundigen Ankündigungen und den oft sehr viel weniger ambitionierten praktischen Verhaltensweisen der Mitgliedstaaten zu ändern. Würden die in Artikel 1 der Charta aufgelisteten Ziele der VN sowie die in Artikel 2 zugesagten Grundsätze als Richtschnur des staatlichen Verhaltens genommen, wären die Probleme der internationalen Politik weitaus geringer. […] ⦁ Drittens – und dies mag dem vorigen Punkt zunächst widersprechen, zeigt aber die gegenläufigen Trends der internationalen Politik an – ist in den vergangenen Jahren nicht ausschließlich, aber doch unter tätiger Mitwirkung der Vereinten Nationen ein Milieu entstanden, in dem zentrale Bestimmungen und Normen der Charta Referenzpunkt geworden sind. […] ⦁ Viertens gilt es, sich von unrealistischen Erwartungen an die Vereinten Nationen zu verabschieden. Es ist zwar davon auszugehen, dass die Bedeutung multilateraler Arrangements in einer unübersichtlicher werdenden, interdependenten und komplexen Welt zunehmen wird, eine „Weltregierung“ ist aber nicht in Sicht. […] Die Problembereiche, die sich nicht mehr national mit Aussicht auf Erfolg lösen lassen, haben aber derart zugenommen, dass in einer zunehmenden Zahl von Politikbereichen (von der Friedenssicherung über die Einhaltung der Menschenrechte bis zu Welthandels-, Entwicklungsund Umweltfragen) gemeinsame Lösungsansätze erforderlich sind. Ein zentraler Ort für diese gemeinsamen Lösungsansätze können die Vereinten Nationen sein. ⦁ Fünftens müssen die Vereinten Nationen in Zukunft insbesondere darüber entscheiden, welche Prioritäten sie setzen wollen, und dann die Mitgliedstaaten davon überzeugen, für die ihnen übertragenen Aufgaben auch die notwendigen Mittel bereitzustellen. Zwar sind zahlreiche sinnvolle Reformschritte eingeleitet worden, eine Reform aus einem Guss ist aber bisher aufgrund der analysierten Hindernisse nicht erfolgt. Es scheint sogar ratsam, sich damit abzufinden, dass bei weitgehenden Reformen oftmals der Weg das Ziel ist. Nicht zuletzt angesichts der bescheidenen Ergebnisse der jüngsten Reformversuche, die sich in dem wenig ambitionierten Abschlussdokument des Weltgipfels 2005 widerspiegeln, erscheint es ratsamer, „auf alle hochfliegenden, kolossalen und pompösen Reform initiativen zu verzichten“ (Paschke 2005). Denn es lassen sich mindestens drei Kategorien von Reformhindernissen nennen, die notwendige Reformen immer wieder verhindern: ⦁ An erster Stelle sind Reformhindernisse zu betrachten, die auf die Entstehung der Weltorganisation und ihre darin festgelegten Bestandsgarantien zurückzuführen sind, also das […] hohe Doppelquorum bei Charta-Änderungen. ⦁ Die zweite Kategorie bezieht sich auf die Rolle der Mitgliedstaaten. Sie verfolgen unterschiedliche Interessen, was grundlegende Reformen strukturell verhindert. ⦁ Die dritte Kategorie bezieht sich auf die heterogene Staatenund Gesellschaftswelt des 21. Jahrhunderts. Sie weist eine Fülle anspruchsvoller, komplexer Aufgaben und Herausforderungen auf, die nur zum Teil in die Agenda der Weltorganisation übersetzt werden können. So wird es immer eine Kluft zwischen dem politisch Steuerbaren und den zur Verfügung stehenden Regelungssystemen in Gestalt internationaler Organisationen geben. Der anhaltende Reformbedarf der Weltorganisation sollte aber nicht den Blick dafür verstellen, dass die Vereinten Nationen für die Stabilität des internationalen Systems unverzichtbar sind. Zwar hält die politische Praxis nur recht selten mit den Erfordernissen einer immer komplexer werdenden internationalen Problemagenda Schritt. Tragfähige Antworten auf die zentralen Menschheitsprobleme sind im 21. Jahrhundert allenfalls multilateral zu geben, und in dem Geflecht multilateraler Regime und Organisationen spielen die Vereinten Nationen trotz allem eine herausragende Rolle. Auch im Bereich der Friedenssicherung sind die oft gescholtenen Vereinten Nationen unverzichtbar. […] Um dies erfolgreich leisten zu können, müssen die Mitgliedstaaten ihre Vereinten Nationen jedoch stärker unterstützen. (Sven Bernhard Gareis/Johannes Varwick: Die Vereinten Nationen, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2014, S. 357 f.) 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei g nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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