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Kontroverse 87 Kontra Tariflohnerhöhungen: Das Kaufkraftargument ist falsch! Wolfgang Franz war bis 2013 Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim und ist Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die Automobilindustrie macht es vor. Dort erhalten die Beschäftigten im Rahmen von Vereinbarungen über eine Gewinnbeteiligung dem Vernehmen nach „Rekordprämien“, die an die Marke von jeweils 10 000 Euro heranreichen. Andere Branchen und Unternehmen wie beispielsweise in der Chemischen Industrie schütten ebenfalls eine Gewinnbeteiligung aus. Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte sind darob des Lobes voll. Mit Gewinnbeteiligungsmodellen können die Tarifvertragsparteien die Nachschlagdiskussion eindämmen, wie sie in der aktuellen Tarifrunde wieder aufgeflammt ist. Denn falls sich die Ertragslage der Unternehmen in den betreffenden Branchen wesentlich besser entwickelt als bei Tarifabschluss antizipiert, sind die Beschäftigten quasi automatisch daran beteiligt. Zwar sind bei den einzelnen Modellen eine Reihe von möglicherweise strittigen Fragen zu klären, also beispielsweise, ob die Belegschaft ebenso an Verlusten beteiligt oder stattdessen eine Obergrenze für die Gewinnbeteiligung gezogen werden soll, oder ob die Prämie als Pro-KopfBetrag oder als Prozentsatz des jeweiligen Arbeitsentgelts zu bemessen ist. Aber zur Behandlung dieser Aspekte liefern Wissenschaft und Praxis eine Reihe von alternativen Lösungsansätzen. Nichts spricht dagegen, dass sich die Tarifvertragsparteien auf eines dieser Modelle verständigen und es den Unternehmen als Orientierungsrahmen anbieten. Leider bedienen sich nicht alle infrage kommenden Unternehmen solcher Modelle – für den staatlichen Sektor ist eine Gewinnbeteiligung kaum umsetzbar. Dies erklärt, warum sich in den aktuellen Tarifverhandlungen selbst im privaten Sektor die Tarifforderungen mehr oder weniger explizit auf die vergangene hervorragende Ertragslage der Unternehmen stützen. Außer Acht bleibt dabei, dass die Gewinne der Vorjahre längst ausgeschüttet oder investiert sind, also nicht mehr zur Verteilung zur Verfügung stehen. Ein Tariflohnabschluss bezieht sich immer auf eine künftige Laufzeit, eine Retrospektive [Rückschau] ist fehl am Platz. Des Weiteren müssen die Arbeitnehmer bedenken, dass im Rezessionsjahr 2009 eigentlich Lohnkürzungen hätten stattfinden müssen, welche die Unternehmen aus guten Gründen unterlassen haben. […] Stattdessen feiert mal wieder das abgenutzte Kaufkraftargument fröhliche Urständ. Es muss bei jeder Konjunkturlage herhalten: Die Rezession soll mit kräftigen Lohnerhöhungen überwunden, der Aufschwung darf nicht behindert, die gute Konjunkturlage nicht gefährdet und der Abschwung nicht verstärkt werden. Ein Universalrezept, allerdings eines, das in die Irre führt. Ob die Tariflohnerhöhungen nämlich als zusätzliche Nachfrage bei den(selben) Unternehmen ankommen, ist höchst ungewiss. Arbeitnehmer sparen, importieren und zahlen Steuern. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Indem die Tarifvertragsparteien den branchenmäßigen Verteilungsspielraum nicht ausschöpfen, tragen sie zur Schaffung weiterer Arbeitsplätze und damit zu erhöhten Konsumausgaben bei. Dieser Verteilungsspielraum setzt sich aus dem künftigen trendmäßigen Produktivitätsfortschritt und den erwarteten Absatzpreisen jeweils der betreffenden Branche zusammen. (Pro und Kontra aus: Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften/Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, Hamburg: Wirtschaftsdienst, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 92. Jahrgang, 2012, Heft 3, S. 142 – 143) 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 Nu r z u Pr üf zw ec k n Ei g nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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