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Kontroverse 89 Die Agenda wiederum kann man in ihrer Gesamtwirkung, bei allen Fehlern im Einzelnen, getrost epochal nennen. Sie hat der Politik wieder die Rolle gegeben, die ihr zusteht, die des Akteurs. Dank eines Kanzlers und einer Koalition, die in blanker Not allen ideologischen Ballast abgeworfen und das übliche Spiel umgedreht haben, wonach die jeweils Regierenden Wohltaten vergeben, welche die Nachfolger mühsam einsammeln müssen. (Marc Beise, in: Süddeutsche Zeitung v. 9.3.2013, S. 4) Kontra Hartz-IV-Reform: Die giftige Agenda Die Bezüge orientieren sich nicht mehr an irgendwelchen Leistungen von gestern, sondern gut materialistisch allein an den aktuellen Bedürfnissen; auch was man früher einmal in die Arbeitslosenkasse eingezahlt hatte, spielt keine Rolle mehr. Der bisherige Bildungs und Berufsweg soll bei der Suche nach neuer Arbeit ohnehin nicht ausschlaggebend sein. Die Reform neutralisiert also die Unterschiede, die das frühere Leben hervorgebracht hat, sei es durch Beruf, Vorsorge, familiäre Zusammenschlüsse oder sonstige Zufälle. Früher hätte man gesagt: Sie annulliert das Schicksal. Der Hartz-IV-Staat entkleidet die Bürger zwar der Sicherheiten, die sie im Sozialstaat besaßen, aber er belässt ihnen die Abhängigkeit, an die dieser sie gewöhnt hatte. […] So steckt in dem Reformvorhaben eine Paradoxie, die keine noch so ausgefuchste Ausführungsbestimmung beheben könnte. Der Staat will die Bürger über seine Hilfen hinausweisen, dem offenen Leben zu. Aber da dort keineswegs so viel Arbeit wartet, wie die gute Absicht unterstellt, wird sich ein guter Teil der Zielgruppe wieder auf die Hilfen selbst und deren gewandelte Bedingungen einzustellen wissen. Ökonomisch eigenverantwortlich betrachtet, zahlt es sich da für Langzeitarbeitslose und solche, die es werden können, nicht mehr aus, anders als im Augenblick und allein zu leben. Es empfiehlt sich nicht, an die Zukunft zu denken und Geld auf die hohe Kante zu legen: Das verhindert dann nur die monatlichen Zuwendungen. Und genauso wenig ist es vernünftig, sich an andere Menschen zu binden, die womöglich auch noch Geld verdienen. Alles Geld, das in einer „Bedarfsgemeinschaft“ von Eltern, Kindern, Gatten oder Lebensgefährten verdient wird, geht von dem eigenen Anspruch ab. So kommen Ehen, Partnerschaften, Großund Kleinfamilien, Patchwork-Verhältnisse aller Art auf den Prüfstand: Ist es wirklich notwendig, weiterhin zusammenzuleben? Reicht es für eine postmoderne Beziehung nicht aus, sich bei Gelegenheit zum Abendessen und danach zu treffen? Warum muss eine volljährige Tochter noch unbedingt bei ihrer Mutter wohnen? Das Familienmodell zahlt sich nur dann unter bestimmten Umständen aus, wenn noch kleine Kinder im Spiel sind. […] Der Menschentypus, den Hartz IV favorisiert, ist der Einzelkämpfer, der alle Brücken hinter sich abgebrochen hat und weiter fortlaufend abbricht. Er wohnt allein in einer günstigen Zweizimmerwohnung, trifft sich, um emotionale Löcher zu vermeiden, regelmäßig mit Freunden am Büdchen um die Ecke und findet sein seelisches Gleichgewicht ansonsten bei Meditationskursen, die ihm dabei helfen, immer wieder Tabula rasa im Kopf zu machen und neu anzufangen. (Mark Siemons, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 29.7.2004, S. 29) Kontroverse 3: Sollen die Staaten zu einem ausgeglichenen Haushalt ohne Schuldenaufnahme gezwungen werden? Pro: Die Bundesregierung sollte zu einem strikten Budgetausgleich verpflichtet sein Seit eh und je sind die Staatsausgaben in der Bundesrepublik Deutschland höher als die Staatseinnahmen. Mit Sondereinflüssen ist es inzwischen dazu gekommen, dass alle Gebietskörperschaften zusammen (Bund, Länder und Gemeinden) sowie die Sondervermögen des Bundes in Höhe von weit über 60 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts verschuldet sind. 55 60 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 5 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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