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Aktion: Ein Spiel als wissenschaftliches Experiment 93 Mit solchen Situationen beschäftigt sich die sogenannte Spieltheorie, eine Wissenschaft im Grenzgebiet zwischen Mathematik und Ökonomie. In der klassischen Spieltheorie ging es vor allem darum, Lösungen für Konflikte zu finden, in denen alle Teilnehmer versuchen, auf rationale Weise für sich die höchste Auszahlung zu erzielen. In den vergangenen Jahren haben sich die Wirtschaftsforscher zunehmend mit Aufgaben wie der in unserem Spiel befasst. In ihnen gibt es zwar auch eine eindeutige Lösung unter der Annahme, dass alle Teilnehmer „vernünftig“ handeln. Doch die neuen Theorien versuchen, noch etwas anderes zu beachten: dass reale Menschen aus Fleisch und Blut anders entscheiden, weil außer dem persönlichen Profit auch noch Kriterien wie „Fairness“ oder „Gerechtigkeit“ ihr Handeln bestimmen. Denn wenn man unsere Problemstellung völlig rational betrachtet, so gibt es eigentlich kein großes Dilemma: Bruder Y hat immer nur die Wahl zwischen der von X angebotenen Verteilung, bei der er einen gewissen Geldbetrag bekommt, und der Alternative, bei der alle drei leer ausgehen. Vernünftigerweise muss er also den Vorschlag von X annehmen. Weil X das weiß, kann er – profitorientiert, wie er ist – die für ihn einträglichste Verteilung vorschlagen. In diesem Fall hieße das: Er selbst behält 1 000 Euro, die beiden anderen bekommen je 100. Aber die spieltheoretische Lösung war unter den eingesandten Fragebogen mit 9,1 Prozent nur die dritthäufigste Entscheidung. Und sie wäre auch in der Praxis kein viel versprechender Vorschlag: Denn in der Rolle des Y lehnen drei Viertel der Teilnehmer diesen Vorschlag ab – sie gehen also lieber leer aus, als diese aus ihrer Sicht unfaire Lösung zu akzeptieren. Die zweithäufigste Verteilung, die unsere Teilnehmer in der Rolle des X anboten, war die, bei der X mit 600 und Y mit 500 Euro den größten Teil des Kuchens unter sich aufteilen und Z mit 100 Euro abspeisen: 16,8 Prozent der Einsender wählten diese Variante. Und in der Rolle des Y würden 64,9 Prozent dieses Spiel mitmachen. Eindeutig die häufigste Einsendung aber war die „gerechte“ Verteilung, bei der jeder der drei Brüder 400 Euro erhält. 54,9 Prozent der Teilnehmer schlugen diese Aufteilung vor, und fast alle (96,7 Prozent) würden sie natürlich auch als Y akzeptieren. Gewöhnlich werden solche Experimente mit Studenten durchgeführt. Für die Forscher vom Max-Planck-Institut ist es wichtig, dass sie mit den über 5 000 ZEIT-Lesern eine Stichprobe bekommen, die repräsentativer ist, da vor allem hinsichtlich der Altersstruktur sie näher am allgemeinen Bevölkerungsdurchschnitt liegt. Wie wichtig dieser Unterschied ist, zeigt die separate Auswertung von 193 Fragebogen, die von Studenten einer Ökonomievorlesung an der Universität Frankfurt ausgefüllt wurden. Nur jeder zehnte der Wirtschaftsstudenten schlug nämlich die faire Lösung vor, je ein Drittel wählte die Verteilungen 1 000-100-100 und 600-500-100. Studenten sind also weitaus opportunistischer im Sinne der persönlichen Profitmaximierung. Das kann man auch daran erkennen, dass sie als Y auch ungerechte Verteilungen annahmen. Bevor nun Vorurteile über Wirtschaftsstudenten aufkommen: Generell ist den eingesandten Fragebögen zu entnehmen, dass ältere Teilnehmer zu einer faireren Verteilung des Geldes tendieren, während bei jüngeren ein größerer Anteil zum „Zocken“ neigt und viel Geld für sich fordert – mit dem Risiko, dass Y den Vorschlag ablehnt. (Christoph Drösser, in: DIE ZEIT Nr. 48 v. 22.11.2001, S. 40) 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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