Volltext anzeigen | |
1.2 Verkleidete Wahrheiten entschlüsseln Christian Fürchtegott Gellert Das Kutschpferd (1746) Ein Kutschpferd sah den Gaul den Pfl ug im Acker ziehn Und wieherte mit Stolz auf ihn. „Wann“, sprach es, und fi ng an, die Schenkel schön zu heben, Wann kannst du dir ein solches Ansehn geben?“ Und wann bewundert dich die Welt?“ „Schweig“, rief der Gaul, „und lass mich ruhig pfl ügen; Denn baute nicht mein Fleiß das Feld, Wo würdest du den Hafer kriegen, Der deiner Schenkel Stolz erhält?“ Die ihr die Niedern so verachtet, Vornehme Müßiggänger, wisst, Dass selbst der Stolz, mit dem ihr sie betrachtet, Dass euer Vorzug selbst, aus dem ihr sie verachtet, Auf ihren Fleiß gegründet ist. Ist der, der sich und euch durch seine Händ’ ernährt, Nichts Bessers als Verachtung wert? Gesetzt, du hättest bessre Sitten, So ist der Vorzug doch nicht dein, Denn stammtest du aus ihren Hütten, So hättest du auch ihre Sitten, Und was du bist, und mehr, das würden sie auch sein, Wenn sie wie du erzogen wären. Dich kann die Welt sehr leicht, ihn aber nicht entbehren. Gotthold Ephraim Lessing Der Esel mit dem Löwen (1759) Als der Esel mit dem Löwen des Aesopus, der ihn statt seines Jägerhorns brauchte, nach dem Walde ging, begegnete ihm ein andrer Esel von seiner Bekanntschat und rief ihm zu: Guten Tag, mein Bruder! Unverschämter!, war die Antwort. Und warum das?, fuhr jener Esel fort. Bist du deswegen, weil du mit einem Löwen gehst, besser als ich? Mehr als ein Esel? 5 10 15 20 5 Christian Fürchtegott Gellert (1715 – 1769) war zu Lebzeiten einer der meistgelesenen Dichter. 213Christian Fürchtegott Gellert N u r zu P rü fz w e c k e n E ig e n tu m d e s C .C . B u c h n e r V rl a g s | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |