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Ella faltet die Zeitung zusammen. Gus hört das Knistern der Seiten. Ella sagt: „Aber die Idee ist schön, Gus.“ Gus steht dicht vor dem Fensterglas. Er starrt hinaus, auf die Bewegung der Nieselregenschleier. „Quark“, sagt er leise, „es ist eine alberne Idee gewesen.“ Gus schiebt seine Lippen vor, haucht einen krät igen Stoß Atem gegen die Scheibe. Sie beschlägt. Er fragt: „Soll ich Kartof eln schälen?“ „Du könntest Musik aufl egen“, sagt Ella. Gus beobachtet das Verschwinden des Hauchfl ecks. Er fragt: „Kartof elschälmusik?“ Aber er weiß natürlich, was Ella meint. Er hat sich zu ihr umgedreht. Sie sitzt nach wie vor auf dem Sofa, hat sich aber jetzt gegen die Rückenpolster zurückgelehnt und die Hände im Schoß liegen. Gus sagt: „Komm her.“ Ella lächelt. „Na, komm schon.“ Gus macht eine auf ordernde Bewegung mit dem Kopf. Ella erhebt sich vom Sofa. Gus kommt ihr entgegen. Er winkelt seinen rechten Arm an, streckt seinen linken zur Seite hin aus. Ella steht vor ihm und amüsiert sich. Gus sieht die Grübchen in ihren Wangen tiefer werden, aber sie legt die eine Hand auf seine Schulter und greit mit der anderen nach seiner Linken. So stehen sie da, in Tanzhaltung, und dann führt Gus Ella rechtsherum und immer weiter im Einszwei-drei eines unhörbaren Walzertakts, und weder er noch Ella sagen irgendetwas. Schließlich streifen sie mit den Ellbogen leicht die Stehlampe, die bedenklich kippelt, aber nicht fällt, und Gus rut ein „Ups!“ und Ella ein „Oh!“, und dann lachen beide, drehen sich ein letztes Mal und bleiben stehen. Gus spürt seinen Puls schlagen. Ella wischt sich eine Strähne Haar aus dem Gesicht. Beide atmen sie fl ach. „Puh, ich bin richtig aus der Puste“, sagt Ella und lacht. Gus sieht die kleinen Schweißperlen auf ihrer Oberlippe. „Ja“, sagt er. Er küsst Ella auf die Stirn. Sie streichelt ihm über die Wange. Gus hat in diesem Moment das Gefühl, etwas Wichtiges loswerden zu müssen. Er sagt: „Ella?!“ Seine Frau guckt ihn an. Aber Gus weiß plötzlich gar nicht mehr, was genau er hat sagen wollen, weshalb er seine Frau einfach noch einmal küsst, diesmal auf die Lippen. Erst als Ella dann längst in der Küche ist, da fallen Gus doch ein paar Dinge ein, die er gerne gesagt hätte. Nichts Großartiges, aber er formuliert sie sogar in seinem Kopf. Er steht im Flur vor dem Garderobenspiegel, hört aus der Küche das Geräusch des Wasserhahns, hört, wie Ella Wasser in einen Kochtopf fl ießen lässt und hinterher den Wasserhahn wieder zudreht. Gus berührt einmal kurz durch Pullover und T-Shirt hindurch die Stelle zwischen Brust und Schlüsselbein. Anschließend lässt er die Hand sinken und betrachtet sich im Spiegel, sein Gesicht, schaut sich in die Augen. Er beugt sich vor, bis seine Nase fast das Glas des Spiegels berührt. Seine Pupillen weiten sich ein Stück, dann ziehen sie sich wieder zusammen. 85 90 95 100 105 110 115 120 125 65Am Leben sein – Erzählende Texte gestaltend interpretieren N r zu P rü fz w c k e n E ig e n tu m d s C .C . B u c h n e r V e rl a g s | |
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