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30 35 40 45 50 55 60 „Tausend Dank“, sagte Herr Grünlich bewegt. Hierauf ließ er sich auf dem Rande des Stuhles nieder, den Tom herbeigebracht hatte, setzte sich, Hut und Stock auf den Knien, zurecht, strich mit der Hand über seinen einen Backenbart und ließ ein Hüsteln vernehmen, das ungefähr klang wie: „Hä-ä-hm!“ Dies alles machte den Eindruck, als wollte er sagen: „Das wäre die Einleitung. Was nun?“ Die Konsulin eröf nete den Hauptteil der Unterhaltung. „Sie sind in Hamburg zu Hause?“, fragte sie, indem sie den Kopf zur Seite neigte und ihre Arbeit im Schoße ruhen ließ. „Allerdings, Frau Konsulin“, entgegnete Herr Grünlich mit einer neuen Verbeugung. „Ich habe meinen Wohnsitz in Hamburg, allein ich bin viel unterwegs, ich bin stark beschät igt, mein Geschät ist ein außerordentlich reges … hä-ä-hm, ja, das darf ich sagen.“ Die Konsulin zog die Brauen empor und machte eine Mundbewegung, als sagte sie mit respektvoller Betonung: „So?“ „Rastlose Tätigkeit ist für mich Lebensbedingung“, setzte Herr Grünlich halb zum Konsul gewendet hinzu, und er hüstelte aufs Neue, als er den Blick bemerkte, den Fräulein Antonie auf ihm ruhen ließ, diesen kalten und musternden Blick, mit dem junge Mädchen fremde junge Herren messen, und dessen Ausdruck jeden Augenblick bereit scheint, in Verachtung überzugehen. „Wir haben Verwandte in Hamburg“, bemerkte Tony, um etwas zu sagen. „Die Duchamps“, erklärte der Konsul, „die Familie meiner seligen Mutter.“ „Oh, ich bin vollkommen orientiert!“, beeilte sich Herr Grünlich zu erwidern. „Ich habe die Ehre, ein wenig bei den Herrschat en bekannt zu sein. Es sind ausgezeichnete Menschen insgesamt, Menschen von Herz und Geist, – hä-ä-hm. In der Tat, wenn in allen Familien ein Geist herrschte wie in dieser, so stünde es besser um die Welt. Hier fi ndet man Gottesglaube, Mildherzigkeit, innige Frömmigkeit, kurz die wahre Christlichkeit, die mein Ideal ist; und damit verbinden diese Herrschaften eine edle Weltläufi gkeit, eine Vornehmheit, eine glänzende Eleganz, Frau Konsulin, die mich persönlich nun einmal charmiert!“ Tony dachte: Woher kennt er meine Eltern? Er sagt ihnen, was sie hören wollen … Der Konsul aber sprach beifällig: „Diese doppelte Geschmacksrichtung kleidet jeden Mann aufs Beste.“ Und die Konsulin konnte nicht umhin, dem Gaste mit einem leisen Klirren des Armbandes die Hand zu reichen, deren Fläche sie in herzlicher Weise ganz weit herumdrehte. „Sie reden mir aus der Seele, mein werter Herr Grünlich!“, sagte sie. 1 Schildere, wie Grünlich sich bei seinem Besuch benimmt. Welchen Eindruck vermitteln sein Erscheinungsbild und sein Auftreten? 2 Halte fest, wie sich die Konsulin und Antonie (Tony) im Verlauf dieser Begegnung verhalten, indem du besonders auf ihre Körpersprache achtest. 3 Benenne die Erzählsituation (P S. 234) und untersuche die Erzählhaltung (P S. 235). Erkläre, wie beides zum Eindruck beiträgt, den der Leser von den Figuren gewinnt. 87Literarische Figuren charakterisieren N u r zu P rü fz w e c k e n E ig e n tu d e s C .C . B u c h n e r V e rl a g s | |
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