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212.2 Vom Wohlstand der Nationen Acemoglu und Robinson gehen davon aus, dass der Wohlstand zwischen den Staaten bis zur Industriellen Revolution verhältnismäßig gleichmäßig verteilt war. Afrikaner waren ähnlich reich wie Europäer und Asiaten oder besser gesagt: ähnlich arm. Doch dann begann sich das Wachstumskarussell zu drehen, zuerst Mitte des 18. Jahrhunderts in England, dann im übrigen Europa. Warum ausgerechnet in England? Weil, so die Autoren, sich über Jahrhunderte hinweg kleine institutionelle Unterschiede zwischen den Staaten herausgebildet haben. Ein Prozess, den Acemoglu und Robinson mit der Genmutation in der Natur vergleichen. Zunächst lassen sich diese Unterschiede kaum bemerken – bis es zu großen geschichtlichen Weichenstellungen kommt. Dann sorgen die kleinen Unterschiede dafür, dass Staaten gänzlich unterschiedliche Wege einschlagen. Die Ursachen für Englands Pionierrolle bei der Industriellen Revolution liegen demnach einige Jahrhunderte früher: In Großmächten wie Spanien wurde der Überseehandel unter dem Monopol des Königshauses betrieben, in England von selbständigen Kauleuten. Diese selbständige Kaufmannsschicht wurde allmählich enorm wohlhabend und verfügte so über das nötige Kapital, um Innovationen wie der Dampfmaschine oder der Eisenbahn zum Durchbruch zu verhelfen. In Spanien fehlte diese Kaufmannsschicht. Der Adel wiederum hatte kein Interesse, durch Innovationen seine eigene privilegierte Stellung auszuhöhlen. Kleine Unterschiede zwischen Staaten führen in entscheidenden Momenten zu unterschiedlichen Weichenstellungen, und von diesem einmal eingeschlagenen Pfad wieder herunterzukommen, ist dann sehr schwer. Wenn ein Staat einmal mit einer Elite geschlagen ist, die sich vor allem selbst bereichert – dann wird auch eine Revolution daran wenig ändern. Und was ist nun mit der Kinderfrage? Warum sind so viele Menschen in Afrika arm, während andere Weltregionen die Kurve gekriegt haben? Kleine Unterschiede während der Kolonialisierung sehen die Autoren als Hauptursache: Dort, wo das Klima gemäßigt ist, besiedelten viele Europäer die Kolonien – und die lehnten sich auf, wenn die Statthalter der Kolonialmächte sich allzu ausbeuterisch gebärdeten. So entstanden zum Beispiel die USA. In tropischen Kolonien hingegen gab es meist nur eine kleine europäische Siedlerelite, die die einheimische Bevölkerung als Plantagenoder Minenarbeiter versklavte. Hier konnten sich nie gesellschaftliche Institutionen herausbilden, die Wachstum begünstigt hätten. Das rächte sich nach der Entkolonialisierung: Die weiße Ausbeuterelite wurde in vielen Fällen lediglich gegen eine farbige ausgetauscht. Aus diesem Teufelskreis wieder herauszukommen fällt schwer – ist aber möglich, wie einzelne Erfolgsgeschichten zeigen. Neben Südkorea (das von Japan besetzt war) zählt zum Beispiel auch Botswana zu den ehemaligen Kolonien, die heute mit funktionierenden Institutionen gesegnet sind. Spannend auch, was Acemoglu und Robinson alles NICHT als Ursache für die Wohlstandsunterschiede zwischen Staaten akzeptieren: Weder Rasse noch Religion oder Kultur, aber auch nicht geographische Faktoren wie den Zugang zum Meer oder zu Bodenschätzen. Im Detail sind viele der präsentierten Erkenntnisse über die Entwicklung einzelner Staaten nicht neu. Auch ihre Studie über die Folgen der unterschiedlichen kolonialen Besiedlungsmuster haben Acemoglu und Robinson bereits vor einem Jahrzehnt vorgelegt – und damals empirisch präzise belegt. Neu ist jedoch, wie die beiden Autoren all ihre Gedanken zu einer packenden (und zudem sehr gut lesbaren) Großtheorie zusammengebunden haben. Christian Rickens, Spiegel Online – Wirtschaft, 7.4.2012 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135 140 145 N u r zu P ü fz w e k n E ig e n tu m e s C .C . B u c h n V e rl a g s | |
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