Volltext anzeigen | |
241 5.1 Die Europäische Union – „in Vielfalt geeint“? Was wir können Aufgaben 1. Diether Stolze blickt im Jahre 1968 zurück auf die Erwartungen, die viele Bürger in Europa an den Abbau der Zollschranken und den gemeinsamen Binnenmarkt in der damaligen EWG im Jahre 1958 gestellt hatten. Beschreibe, welche Erwartungen der Autor 1958 gehabt hat und arbeite heraus, welche Erwartungen sich nach seiner Einschätzung nicht erfüllt haben. 2. Diether Stolze wagt auch einen Ausblick auf das Jahr 1978. Überprüfe, in welchem Umfang sich der Traum erfüllt hat und welche Träume erst später oder noch gar nicht Realität geworden sind. „Die Zollschranken fallen, aber noch ist der Weg zur Europäischen Union weit: Der unerfüllte Traum“ – ein Zeitungsartikel vom 28. Juni 1968 In dem Zeitungsartikel „Der unerfüllte Traum“ schildert der Autor Diether Stolze zwei Tage vor dem Inkrafttreten der Zollunion am 1. Juli 1968 seine Enttäuschung über die Entwicklung in der EWG seit dem Inkrafttreten der Römischen Verträge im Jahre 1958. Er hatte 1958 mehr von der Zukunft des gemeinsamen Marktes erwartet. Trotzdem gibt es für ihn keinen Weg zurück in ein Europa der Schlagbäume. Was hatten wir im Jahr 1958 nicht alles von dem Tag erwartet, an dem die Zollunion der EWG vollendet und in Europa ein Binnenmarkt von 180 Millionen Verbrauchern entstanden sein wird. Wir hatten angenommen, der Abbau der Zollschranken müsse auch zu einer gemeinsamen Wirtschaftsund Währungspolitik, zur Gründung übernationaler Konzerne und enger technologischer Zusammenarbeit führen. Vor allem aber bestand die Hoffnung, dass es zehn Jahre nach Gründung der Wirtschaftsgemeinschaft auch eine politische Kooperation, vielleicht sogar bereits einen lockeren, aber funktionsfähigen Staatenbund geben wird. Und wie sieht die Realität in Europa aus, in den Tagen und Wochen vor dem 1. Juli 1968? Junge Deutsche werden ohne Rechtsgrund und unter Anwendung von Gewalt aus Paris abgeschoben, Frankreich will aus Angst vor der drohenden Infl ationskrise den freien Warenaustausch gleich zu Beginn wieder beschränken, […] Längst haben wir uns daran gewöhnen müssen, dass der Weg zur Wirtschaftsunion noch weit ist – von der politischen Gemeinschaft ganz zu schweigen. […] Nein, der Traum vom großen, einigen Europa hat sich nicht erfüllt. So ist es gewiss verständlich, wenn viele an einer Gemeinschaft verzweifeln möchten, die sich oft nur in dem großen Feilschen um Schweinekontingente oder Olivenpreise manifestiert. Doch wenn sich keine Alternativen zeigen, ist Resignation kaum die richtige Antwort auf die Tatsache, dass sich ein Traum nicht erfüllt hat. Und es gibt keine Alternative zum Weiterbau der EWG: weder ökonomisch noch politisch. In einer Zeit, in der Eisenbahnexperten feststellen, dass unsere Züge bald mit 300, vielleicht sogar 500 Kilometern pro Stunde verkehren werden, sind die Räume der Nationalstaaten wirklich zu klein geworden. Wenn der Raumfahrtindustrielle Ludwig Bölkow in einem leidenschaftlichen Appell fordert, Europa müsse an einem großen Zukunftsprojekt wie der Landung eines Menschen auf dem Mars mitwirken, dann wird klar: unser Kontinent hat gar keine andere Wahl, als seine Kräfte zu vereinen, um vor der Herausforderung des wissenschaftlich-technischen Zeitalters zu bestehen. Immerhin ist einiges erreicht worden: in zehn Jahren EWG haben die Menschen in unserem Kontinent einen Lebensstandard erreicht, der es bald erlauben wird, […] von einer Gesellschaft im Überfl uss zu sprechen. Gewiss, Wohlstand ist nicht genug – aber doch eine wesentliche Voraussetzung für Reformen. Und warum sollten wir aufhören zu träumen: Wenn wir geduldig eine „Politik der kleinen Schritte“ betreiben, werden sich 1978, in zehn Jahren, vielleicht doch manche der Hoffnungen erfüllt haben, die wir schon so lange hegen. Diether Stolze, Die Zollschranken fallen – aber noch ist der Weg zur europäischen Union weit. Der unerfüllte Traum, www.zeit.de, 28.6.1968 5 10 15 20 25 30 Nu r z ur P rü fzw ec ke n Ei en tu m d es C .C . B uc hn er V rla gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |