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Nicht zu den Rechtsnormen zählen beispielsweise ethische (sittliche) Normen. Diese zielen darauf ab, den Einzelnen anzuhalten, Gutes zu tun und Böses zu unterlassen. So weit geht das Recht nicht; es beschränkt sich darauf, das friedliche Zusammenleben der Menschen zu sichern. Während die Sittlichkeit sich nicht in äußerer Verhaltenskonformität erschöpft, sondern gerade auf die Beweggründe menschlichen Handelns abhebt, sind dem Recht die Motive des Einzelnen im Allgemeinen gleichgültig; entscheidend ist, ob er die Rechtsnorm tatsächlich befolgt. Sittlichkeit ist „Gesetz für die Maximen der Handlungen“, Recht „Gesetz für die Handlungen“ (Kant). Was der Mensch im Innersten denkt und fühlt, ob er liebt oder hasst, ist für die Sittlichkeit in hohem Maße bedeutsam, für das Recht nur dann, wenn es verhaltensrelevant wird. Wenn jemand beispielsweise seinem erfolgreichen Nebenbuhler insgeheim Rache schwört, handelt er nicht im Sinne des sittlich Gebotenen, verstößt aber nicht schon deshalb gegen die Rechtsordnung; treibt ihn indes die Rachsucht so weit, dass er den Konkurrenten umbringt, wird er nicht wegen Totschlags (§ 212 StGB), sondern, weil er aus einem niedrigen Beweggrund gehandelt hat, härter, nämlich wegen Mordes (§ 211 StGB), bestraft. Umgekehrt gibt es im Recht eine Vielzahl von Normen, die die Sittlichkeit nicht berühren. Ob zum Beispiel im Straßenverkehr rechts oder links gefahren wird, ist zwar eine für das Zusammenleben der Menschen höchst wichtige Frage; sie ist jedoch durch die Rechtsordnung wertneutral, allein unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten, zu entscheiden. Andererseits – und da berühren sich Ethik und Recht – verträgt es sich mit der friedensstiftenden Funktion des Rechts nicht, Gebote oder Verbote zu erlassen, die der Sittlichkeit evident widersprechen; das Recht muss ein „ethisches Minimum“ enthalten. Das bedeutet, dass sich die Rechtsordnung nicht über jedermann einsichtige sittliche Normen, wie zum Beispiel das Tötungsverbot, hinwegsetzen darf. Ein wichtiger Unterschied zwischen Ethik und Recht betrifft die Durchsetzbarkeit der jeweiligen Norm: Sittlichkeit ist auf den freien Willen des Einzelnen angewiesen; sie kann nicht erzwungen werden. Das Recht hingegen vermag seine Geltung auch gegen Widerstrebende mit staatlichem Zwang zu verwirklichen. Hermann Avenarius, Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2002, S. 1 Aufgaben 1. Stellen Sie die wesentlichen Merkmale des Rechts dar, und grenzen Sie das Recht von den anderen Bereichen der sozialen Lebensordnung ab (M1, M2). 2. Zeigen Sie, inwieweit die zehn Gebote (M1) Eingang in unser Strafgesetzbuch gefunden haben. Suchen Sie weitere Beispiele, in denen sich sittliche und/oder moralische Wertvorstellungen mit unserer Rechtsordnung decken und solche, wo diese Deckung nicht gegeben ist. 3. Erläutern Sie die Grafik auf S. 129 (unten) in einem Kurzvortrag. M2 Der Zusammenhang zwischen Sitte und Recht 5 10 15 20 25 30 35 40 45 130 1315 Grundlagen unserer Rechtsordnung 5.1 Das Wesen des Rechts Nu r z u Pr üf zw e ke n Ei ge nt um d s C .C . B uc hn er V er la gs | |
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