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141Hexenverfolgungen in der Frühen Neuzeit M2 Was haben das Klima und die Hexenverfolgung miteinander zu tun? Der Historiker Wolfgang Behringer vertritt seit Ende der 1980er-Jahre die Theorie, dass die „Kleine Eiszeit“ eine wichtige Ursache für die großen Hexenverfolgungen gewesen ist; er schreibt 2013: Hexerei galt als Ausnahmeverbrechen (crimen exceptum), in dem ein Ausnahmeverfahren mit extremem Foltereinsatz (processus extraordinarius) erlaubt war. So begann nach 1560 die Zeit der großen und populären Hexenverfolgungen, von denen sich viele Menschen in Europa eine Lösung ihrer Probleme versprachen. Entgegen mancher missverständlichen Darstellungen ist der Zusammenhang zwischen Kleiner Eiszeit und Hexenverfolgung ein mittelbarer, kein direkter Zusammenhang. Zunächst einmal wirkt sich der Rückgang der Agrarerträge gerade nach 1560 besonders stark aus, weil Mitteleuropa sich in einem Zustand relativer Überbevölkerung befand, die Landwirtschaft aufgrund der feudalen Eigentumsverhältnisse unfl exibel auf die größere Nachfrage reagierte und wegen der miserablen Infrastruktur vor allem in Binneneuropa kein Ausgleich für Ernteausfälle aus entfernteren Gegenden beschafft werden konnte. [...] Außerdem brauchte es für die Hexenverfolgung einen Konsens zwischen der einfachen Bevölkerung und den Eliten in Kirche und Staat, der meist nur kurzzeitig zu erzielen war. Vor allem in komplexer strukturierten Territorien war die Wahrscheinlichkeit groß, dass entweder die Geistlichkeit, die Juristen an der Universität, die Staatsverwaltung, das Parlament, die größeren Städte oder auch der Fürst Hexenverfolgungen blockierten. Kam es aber einmal zu einer Hexenverfolgung, dann zeigt sich in den Verhörprotokollen, welche Spannungen und Ängste im Hintergrund der Anklagen stehen. [...] Als Auslöser für den Höhepunkt der Hexenverfolgungen in Mitteleuropa fi nden wir ein klimatisches Extremereignis: einen Vorstoß an polarer Kaltluft, der Ende Mai 1626 bis zu den Alpen vordrang und wie ein Kältesee eine Woche lang stehen blieb. Bereits in der ersten Nacht war es so kalt, dass die Blätter schwarz von den Bäumen fi elen. Besonders betroffen waren die Weinbaugebiete wie Mainfranken, wo die regionale Wirtschaft zu einem guten Teil von diesem Edelprodukt abhing. Doch nicht nur die empfi ndlichen Rebstöcke, sondern auch das Getreide und die Obstbäume nahmen bei dieser Kälte im fortgeschrittenen Agrarjahr schwere Schäden. Nach Ansicht der Bevölkerung ging dies nicht mit rechten Dingen zu. Die Quellen sagen sehr eindeutig, dass die Obrigkeit auf Verlangen der Bevölkerung mit den Hexenverfolgungen begann. [...] Immer wieder kam man in den Verhören auf das Initialereignis des großen Frostes Ende Mai 1626 zurück, der die ganze Region ins Elend gestürzt hatte. Angetrieben wurde die Verfolgung aber auch dadurch, dass die nächsten Jahre nicht besser wurden. Besonders das Jahr 1628 gehörte zu den entsetzlichen „Jahren ohne Sommer“, wo es fast ununterbrochen regnete und die Sonne kaum zum Vorschein kam. Kälte und Feuchtigkeit war für Wein und Weizen die ungünstigste Witterung überhaupt, ebenso für die Psyche der Menschen. Krankheiten brachen aus […]. Der Dreißigjährige Krieg, der in der älteren Literatur oft mit den Hexenverfolgungen – mit oder ohne Kausalverknüpfung – in einen Topf geworfen wurde, spielt weder in den Geständnissen der Hexen, noch in den Zeugenaussagen, noch in der Berichterstattung eine Rolle. Wolfgang Behringer, Klimageschichte, Hexenverfolgung und Industrielle Revolution. Eine neue Sicht Europas in der Neuzeit, in: Bärbel Kuhn und Astrid Windus (Hrsg.), Umwelt und Klima im Geschichtsunterricht, St. Ingbert 2013, S. 29 42, hier S. 32 (ohne Anm.) 1. Erarbeiten Sie Ursachen und Motive, warum den Zeitgenossen im 17. Jahrhundert die Hexenverfolgung begründet und geboten erschien. 2. Erläutern Sie die Ursachen, die Behringer für die Hexenverfolgung betont. Vergleichen Sie seine Aussagen mit M1. i Beinschraube. Folterinstrument aus dem 16./17. Jahrhundert. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Nu r z ur P rü fzw ck en Ei ge nt um d s C .C . B uc hn r V er la gs | |
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