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Die Amerikanische und die Französische Revolution – ein Vergleich 219 M1 „Sie war umfassender …“ Der Mathematiker und Schriftsteller Marie-Jean-Antoine-Nicolas Caritat, Marquis de Condorcet, der als gemäßigter Jakobiner an der Französischen Revolution teilnimmt, zieht sich 1793 die Feindschaft der radikalen Revolutionäre zu. In einer kurz vor seinem Tod 1794 abgeschlossenen Schrift stellt er fest: Sie [die Französische Revolution] war umfassender als die amerikanische, daher verlief sie im Innern weniger friedlich; denn die Amerikaner, zufrieden mit den aus England überkommenen bürgerlichen und Strafgesetzen, hatten kein mangelhaftes Steuersystem zu reformieren, weder eine feudale Tyrannei und erbliche Klassenunterschiede noch reiche oder mächtige privilegierte Körperschaften und ein System religiöser Unduldsamkeit zu beseitigen und konnten sich deshalb darauf beschränken, neue Gewalten einzuführen und sie an die Stelle derjenigen zu setzen, durch die bislang die britische Nation über sie regiert hatte. Diese Neuerungen betrafen in keiner ihrer Einzelheiten die Masse des Volkes; nichts änderte sich an den Beziehungen, die sich zwischen den Individuen bereits herausgebildet hatten. Aus dem entgegengesetzten Grunde musste die Revolution in Frankreich die gesamte Einrichtung der Gesellschaft erfassen, alle sozialen Beziehungen verändern und noch die letzten politischen Zusammenhänge durchdringen, bis hin zu den Individuen, die friedlich von ihrem Besitz oder ihrem Gewerbe leben und an öffentlichen Bewegungen weder durch ihre Ansichten und Beschäftigungen noch durch ihr Streben nach Vermögen, Ehre oder Ruhm Anteil nehmen. Condorcet, Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes. Herausgegeben von Wilhelm Alff, Frankfurt am Main 1976, S. 167 M2 Zentrale Unterschiede Der Darmstädter Historiker Hans-Christoph Schröder vergleicht die Amerikanische mit der Französischen Revolution: Der untypische, abweichende Verlauf der Amerikanischen Revolution lässt sich in dem einen Satz zusammenfassen, dass sie keine Zielverfehlung und Deformation, keine starken Pendelausschläge zur einen oder anderen Richtung, keine Terrorherrschaft, keinen Umschlag in die Diktatur und keine Restauration erlebte. Die Freiheit steht im Zentrum der Amerikanischen Revolution in allen ihren Aspekten und Phasen, für alle ihre verschiedenen Richtungen und Gruppierungen. Sie bildet den Ausgangspunkt des kolonialen Widerstandes gegen England, aber ebenso des Kampfes […] gegen die Unionsverfassung von 1787. Die Amerikanische Revolution weist in sehr viel geringerem Maße den Doppelcharakter einer politischen Revolution und einer sozialen Protestbewegung auf als andere Revolutionen in der Geschichte. Man kann sie als eine fast rein politische Revolution bezeichnen. Da die Amerikanische Revolution die Erhaltung einer freiheitlichen Verfassung als Ausgangspunkt hatte und da sie durchweg von einer libertären Zielsetzung bestimmt war und nicht etwa von einer radikal-egalitären, sozialen, religiösen oder primär nationalen Zielsetzung, die Freiheitseinbußen in geringerem Maße als Zielverfehlungen hätten erscheinen lassen, war Amerika in gewissem Umfang bereits gegen eine Fehlentwicklung seiner Revolution geschützt. Es fehlte in Amerika, was in der Revolutionsgeschichte einmalig sein dürfte, jede gewaltsame Säuberung und Aufl ösung von Parlamenten. Es kam dort auch nicht zu jenem unheilvollen Nebeneinander rivalisierender Institutionen und Machtzentren, wie sie besonders die Französische und Russische Revolution kennzeichnen. Das „Recht auf Freiheit“ konnte in der Amerikanischen Revolution die dominierende Rolle spielen, weil im Unterschied zu Frankreich das „Recht auf Existenz“ oder das „Recht auf Brot“ es nicht aus seiner Schlüsselstellung verdrängten. Etwas zugespitzt lässt sich sagen, dass Amerika das Problem der „föderalistischen“ Revolte erspart blieb, weil es einerseits keine Hauptstadt mit einer vom Hunger getriebenen, radikalisierten und stets von Neuem in den Lauf der Revolution eingreifenden Bevölkerung besaß und andererseits von Anfang an eine föderalistische Struktur gehabt hat. Es gab in Amerika nicht den verzweifelten Versuch einer „levée en masse“, einer Zusammenfassung aller Kräfte und gewaltsamen Eliminierung aller „Verräter“ und Verdächtigen. Hans-Christoph Schröder, Die Amerikanische Revolution. Eine Einführung, München 1982, S. 167 170, 174, 180, 182 und 184 1. Erläutern Sie, warum Condorcet zufolge, die Französische Revolution vor erheblich größeren Herausforderungen stand als die Amerikanische Revolution (M1). Berücksichtigen Sie dazu auch die Strukturskizze. (Sach und Orientierungskompetenz) 2. Beurteilen Sie, warum die Amerikanische Revolution vergleichsweise friedlicher verlief als die Französische Revolution (M1 und M2). Berücksichtigen Sie dazu auch die Strukturskizze. (Urteilskompetenz) 3. Erörtern Sie, welche der beiden Revolutionen einen welthistorisch bedeutsameren Rang beanspruchen darf. (Sachund Orientierungskompetenz) 5 10 15 20 5 10 15 20 25 30 35 40 Nu r z ur P rü fzw ck en Ei en tu m d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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