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122 6 Europäische Flüchtlingspolitik – das Ende von Humanität und Solidarität? 6.3 Was kostet und wer verantwortet die re-nationalisierte Flüchtlingspolitik? M 1 Ökonomische Kosten der neuen Grenzschließung M 2 Politische Kosten – Ist das Weiterbestehen der EU bedroht? [D]ie Flüchtlingskrise hat das grenzenlose Reisen, diese Errungenschaft der europäischen Integration, infrage gestellt. […] [Dies] könnte die Integration der europäischen Volkswirtschaften stoppen oder gar zurückdrehen – also jene Entwicklung, der der Kontinent seinen Wohlstand verdankt. Diese angespannte Lage alarmiert die Wirtschaft. Kommissionschef Juncker warnt: „Wer Schengen killt, wird im Endeffekt den Binnenmarkt zu Grabe tragen.“ […] In der Kommission wird gerade die GrenzkostenRechnung der Flüchtlingskrise kalkuliert. Juncker verweist darauf, dass Wartezeiten an den Binnengrenzen für jeden Lkw mit 55 Euro pro Stunde zu Buche schlügen. Guntram Wolff, Direktor der Denkfabrik Bruegel in Brüssel, macht folgende Rechnung auf: Im Schengen-Gebiet leben 1,7 Millionen Pendler, die täglich über die Grenze müssen. Verlorene Arbeitszeit kostet viel Geld. Dazu kommen steigende Kosten für oder der Wegfall von beruflichen und privaten Reisen. Und vor allem die Wartezeiten für Lastwagen. Grenzkontrollen stellen das Just-in-Time-Prinzip des Verzichts auf Lagerhaltung infrage, nach dem sich die deutsche Wirtschaft aus Kostengründen ausgerichtet hat. „Da entstehen zweistellige Milliardenkosten“, bilanziert Wolff. In Deutschland steige definitiv der Druck, den Flüchtlingszustrom deutlich zu verringern. „Wenn das an gemeinsamen Außengrenzen nicht gelingt, wäre die Wiedereinführung nationaler Grenzkontrollen der nächste Schritt“, meint der Experte. Die Folge wären nicht nur direkte ökonomische Schäden. „Auch psychologisch würde sich das stark auswirken“, sagt Wolff. „Die Leute fragen sich: Wohin geht es jetzt mit der EU? Da setze ich lieber auf das nationale Pferd.“ Wie zum Beispiel ein deutscher Unternehmer, der dann eben nicht mehr in Tschechien produziere, weil alles zu kompliziert werde. Alexander Hagelüken, Alexander Mühlbauer, Die neuen Grenzkosten, Süddeutsche Zeitung, 26.1.2016 1985 geschlossene und seit 1995 umgesetzte Übereinkunft zwischen vielen EU-Staaten, dass Personenkontrollen an den Binnengrenzen nicht mehr (bzw. höchstens stichprobenartig) vorgenommen werden. Die Außengrenzen (Land, See) sollten stärker und nach einheitlichen Standards überwacht werden, ebenso existieren einheitliche Einreiseund Aufenthaltsbestimmungsregeln (inkl. Visa) und polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit. Ziel war und ist die vollständige Umsetzung des freien Binnenmarkts durch die Freiheit des Personenverkehrs – insofern ist das Schengener Abkommen wirtschaftlich ein zentrales Integrationselement der Europäischen Union. Seit 1997 ist das Schengener Abkommen Teil des Vertrages von Amsterdam und damit des EU-Vertragswerks. Autorentext Schengener Abkommen Info Just-in-Time Betriebswirtschaftliches Prinzip zur Reduktion von Produktionskosten (insb. Lagerhaltung), wonach nur die Stückzahl hergestellt wird, die zur Erfüllung der Kundenaufträge unmittelbar notwendig ist. Faktisch wird das Warenlager auf die Straße bzw. Schiene verschoben. Europa erlebt in der Flüchtlingspolitik eine Wiederkehr der Nationalstaaten, die ihre eigenen Interessen im Blick haben, um den Preis der europäischen Werte. […] Die EUMitgliedstaaten können sich noch nicht einmal darauf verständigen, wer als Flüchtling bezeichnet werden soll. So wurden in Finnland im […] Jahr [2014] 43 Prozent der Asylanträge von Kosovaren anerkannt, in Deutschland nur 1,1 Prozent. In Schweden erhielten 2014 mehr als drei Viertel der Flüchtlinge Schutz, in Ungarn gerade einmal 9 Prozent. Das Dublin-System verleitet Staaten dazu, 5 10 15 20 25 30 35 40 45 5 10 Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt u d es C .C . B uc hn r V rla gs | |
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