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178 8 Quo vadis, Europa? Herausforderungen und Perspektiven des europäischen Projekts Frieden verpflichtete. Doch was die Gründungsväter unter dem Eindruck der Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg vereinbarten, ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Auch der Binnenmarkt, der zweite Kerngehalt der Union, ist in Zeiten der Globalisierung zu einer Grundvoraussetzung geworden, die keinerlei Pathos oder Empathie erweckt. Europa begeistert nicht. […] Trotz des Einflusses ist die Europäische Union nicht hinreichend legitimiert. Sie hat sich in einem Exekutivföderalismus verheddert, der von nationalen Regierungen dominiert wird. Das Europäische Parlament, das als Korrektiv in Frage käme, wurde zwar im Rahmen des Lissabon-Vertrags aufgewertet. Doch es ist noch immer kein Vollparlament. Seine Mitspracherechte sind, verglichen mit denen nationaler Abgeordnetenhäuser, gering. Viel schwerer wiegt jedoch, dass das EU-Parlament in seiner Arbeit von den Bürgern kaum wahrgenommen wird. Wenn die Institutionen so blass und fern scheinen, wenn sich die EU als ein abstraktes Gebilde darstellt – gibt es […] eine kulturelle Klammer, die die Völker von Griechenland bis Großbritannien zusammenhält? Wir haben schon fast vergessen, dass die EU den Bürgern viele Freiheiten eröffnet hat. Niederlassungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Reisefreiheit – die Schlagbäume sind für immer gefallen. Und doch: Grenzöffnung geht einher mit Entgrenzung. Wer auf Wanderschaft geht, muss auch verlassen. Das fällt vielen schwer. Die Entterritorialisierung der EU entwurzelt – und macht viele heimatlos. In den Köpfen der Menschen verfestigt sich die Vorstellung eines diffusen Raums, der viel Kälte erzeugt. Man fühlt sich beklommen – und bedroht. Der Binnenmarkt hat sich zum Schreckgespenst der Bürger gewandelt. Sie setzen ihn gleich mit Lohndruck, Konkurrenzkampf, Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg. Das Projekt Europa steht vor einer Wegscheide. Entweder es verharrt in seinem derzeitigen Zustand und bleibt ein Klub von Nationalstaaten. Oder es ent wickelt sich zu einer bundesstaatlich verfassten Union, auf die weitere Ho heitsrechte übertragen werden. Dafür braucht es aber eine Legitimation. Die kann nicht allein auf Verträgen beruhen. Je mehr Verträge verabschiedet werden, 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 Gemälde von Jörg Frank, 1995 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge n um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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