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171„Verschiebebahnhof“ Europa: Kriegsfolgewanderungen „Verschiebebahnhof“ Europa: Kriegsfolgewanderungen „Verschiebung“ von Bevölkerungen als politisches Konzept Neben Fluchtbewegungen, Vertreibungen und Umsiedlungen von Deutschen traten in den letzten Kriegsmonaten oder nach Kriegsende 1945 in Ost-, Ostmittelund Südosteuropa zahlreiche Zwangswanderungen anderer Gruppen. Darüber hinaus lassen sich millionenfache Migrationsbewegungen in die Gebiete beobachten, die im Kontext der Zwangswanderungen größere Teile ihrer Bevölkerung verloren hatten. Bereits in der Zwischenkriegszeit und insbesondere während des Zweiten Weltkrieges war in Europa intensiv über „ethnische Flurbereinigungen“ nachgedacht worden. Diskutiert wurde, welche Minderheiten wohin „verschoben“ werden konnten, um auf diese Weise homogene Bevölkerungen zu schaffen, Minderheitenkonfl ikten zu entgehen und Herrschaft insbesondere auch in neu eroberten Gebieten zu sichern und zu stabilisieren. Ins Visier der Planer gerieten dabei beispielsweise sowohl Rumänen, die in Ungarn, Jugoslawien und Bulgarien lebten, als auch Bulgaren, die in Rumänien, Jugoslawien oder Griechenland siedelten. Ungarn sollten aus der Tschechoslowakei entfernt werden, ebenso Italiener aus Jugoslawien oder Albaner aus Griechenland. Viele weitere Gruppen traten hinzu. Den politischen Eliten schien in der offenen Situation des Kriegsendes, die durch grundlegende Machtverschiebungen innerhalb und zwischen den Staaten gekennzeichnet war, die Gelegenheit gekommen zu sein, lange in den Blick genommene Veränderungen in der Bevölkerungszusammensetzung unter Zwang vorzunehmen. Polnische Zwangsmigration Von den Umsiedlungen und Vertreibungen der Nachkriegszeit waren neben den Deutschen vor allem Polen betroffen. Der Zweite Weltkrieg hatte in Polen Millionen Opfer gekostet, große Teile des Landes völlig zerstört und sehr umfangreiche Zwangswanderungen ausgelöst. Die deutschen Besatzer ermordeten mit ca. drei Millionen Juden beinahe die gesamte jüdische Bevölkerung des Landes. Weitere drei Millionen Polen waren als Soldaten und Zivilisten Opfer der Kampfhandlungen geworden oder von deutschen Besatzern im Westen und sowjetischen Besatzern im Osten umgebracht worden. Wahrscheinlich 3,5 Millionen Polen wurden als Zwangsarbeitskräfte, Konzentrationslagerhäftlinge oder Kriegsgefangene von Deutschen interniert oder deportiert. Mit Kriegsende schließlich wurde das Territorium des polnischen Staates um rund 200 Kilometer nach Westen verschoben: Die Sowjetunion wollte die im Rahmen des „Hitler-Stalin-Paktes“ von 1939 erworbenen und mit Beginn des Zweiten Weltkrieges eroberten polnischen Ostgebiete nicht wieder an Polen zurückgeben (u M1). Für die fast 180 000 Quadratkilometer, die im Osten verloren gingen, wurde Polen mit rund 100 000 Quadratkilometern ehemals deutschem Territorium im Westen entschädigt. Der territorialen Verschiebung folgte eine Verschiebung von Bevölkerungen (u M2). Bereits 1939/40 waren viele Polen aus den nun sowjetischen ostpolnischen Gebieten ausgewiesen t Zwangsumsiedlung im Wartheland. Foto von Wilhelm Holtfreter, um 1940, Schwarzenau bei Gnesen. Als Teil der „ethnischen Säuberungen“ durch die Nationalsozialisten wird die polnische Bevölkerung mit Waffengewalt abtransportiert. Die hier gezeigten Polen sind mit ihrem Gepäck auf dem Weg zum Bahnhof. 32017_1_1_2016_Kap2_138-203.indd 171 04.05.16 10:39 Nu r z u Pr üf zw ec k n Ei ge nt um d e C .C . B uc hn er V er la gs | |
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