Volltext anzeigen | |
265Nationen und Nationalstaatsbildung Kriegen oder Bürgerkriegen begleitet, weil die jeweiligen Staatsgrenzen keineswegs mit denjenigen Territorien übereinstimmten, die von den jeweiligen Wortführern der Nationalisten beansprucht wurden. • Phase 4: Diese Periode verlief ungefähr zwischen dem Ausbruch des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Sie war gekennzeichnet durch einen extremen, sehr oft rassistischen Nationalismus, der im Falle des Deutschen Reiches bis hin zum Völkermord und zu Vernichtungskriegen ging. • Phase 5: Unter Historikern ist umstritten, ob man noch eine fünfte Phase annehmen kann, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann. Diese Periode ist dadurch gekennzeichnet, dass Nationalismus zwar nicht verschwindet, sich aber auf einem langsamen Rückzug befi ndet. Gründe hierfür waren die Entstehung von übernationalen Institutionen wie beispielsweise der Europäischen Union. Freiwillig traten Nationalstaaten Rechte an Organisationen ab, die oberhalb der jeweiligen Nationalstaaten standen. Auf diese Weise sollten internationale Konfl ikte vermindert werden. Nationale Identitäten Identitäten sind vielschichtige Gebilde, kein Mensch richtet sich alleine an einem Bezugssystem aus. Den einen Weg zur Nationsbildung hat es nicht gegeben, viele unterschiedliche Faktoren kamen zusammen, bis eine große Gruppe von Menschen davon überzeugt war, einer Gemeinschaft anzugehören. In der historischen Forschung werden viele unterschiedliche Dinge genannt, die bei der Entstehung von Nationen wichtig waren, und von denen im Folgenden einige aufgezählt werden. Diese können sich im Einzelfall ergänzen, aber auch ausschließen, in manchen Fällen waren sie zentral, in anderen spielten sie keine Rolle. • Sprache: Sehr häufi g sprechen die Mitglieder einer Nation eine gemeinsame Muttersprache. Dies unterscheidet den Nationalstaat vom Imperium, in dem meistens viele unterschiedliche Völker mit unterschiedlichen Sprachen zusammenleben. Allerdings gibt es hier Ausnahmen: Die Schweizer verstehen sich zwar als Nation, in der Schweiz werden aber vier unterschiedliche Muttersprachen gesprochen (Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch). • Kultur: Oft beziehen sich Nationen auf eine wirkliche oder vermeintliche gemeinsame Kultur. In der Praxis ist aber oft nur schwer zu defi nieren, was diese Kultur ausmacht oder wie sie defi niert werden kann. • Herkunft (Ethnie): Vor allem in der dritten und vierten Phase der Nationsbildung spielt häufi g „Ethnie“ eine wichtige Rolle. Nationalisten behaupten, dass alle „Deutschen“ eine gemeinsame Abstammung hätten, die sie von anderen Völkern grundsätzlich unterscheidet. Diese Auffassung geht oft Hand in Hand mit der Entstehung eines gewaltbereiten Rassismus. • Bürgerschaft: Sobald ein Nationalstaat entstanden ist, muss defi niert werden, wer dazugehört und vor allem wer kein Bürger ist. In Frankreich kann beispielsweise theoretisch jeder Ausländer Franzose werden, wenn er die französische Sprache spricht und sich zur französischen Kultur bekennt. Im Deutschen Reich wurde 1913 festgelegt, dass – mit Ausnahmen – nur diejenige Person ein Deutscher ist, die einen deutschen Vater hat. Dieses „Blutrecht“ wurde erst in den 1990er-Jahren reformiert. • Gemeinsame Geschichte: Geschichte spielt für die Nationsbildung eine extrem wichtige Rolle. Häufi g wird eine Art von Gründungsmythos konstruiert, manchmal können dies aber auch mehrere Ereignisse sein. In der deutschen Nationalbewegung wurde beispielsweise der Germanenfürst Arminius bzw. Hermann der Cherusker, der im Jahre 9 n. Chr. die Römer im Teutoburger Wald geschlagen hatte, zu einer Art „Gründungsvater“ ernannt. i „Yes Scotland“-Kampagne. Foto vom September 2014, George Square in Glasgow. 2014 stimmten die Schotten in einem Referendum über ihre Unabhängigkeit von Großbritannien ab. Dieses Referendum scheiterte überraschend eindeutig. p Informieren Sie sich im Internet über das Referendum. Entwickeln Sie anschließend in Partnerarbeit Argumente für und gegen eine Abspaltung von Großbritannien. Berücksichtigen Sie bei Ihrer Argumentation auch einige der Punkte, die im Abschnitt „Nationale Identitäten“ aufgeführt sind. 32017_1_1_2016_Kap3_260-357.indd 265 04.05.16 10:44 Nu r z u P üf zw ck n E ge nt um d s C .C . B uc hn er V er la gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |