Volltext anzeigen | |
275Die deutsche und die polnische Nationalbewegung nationale Frage ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Diese wurde auch dadurch aktueller als zuvor, weil in Italien die kriegerische Einigung des Staates begonnen hatte.1 Der polnische Aufstand von 1863 1863 brach im russischen Teilungsgebiet erneut ein großer polnischer Aufstand aus. Träger des „nationalen“ Gedankens waren vor allem Adlige und einige Intellektuelle, die Mehrheit der Bauern verhielt sich wie schon zuvor weitgehend passiv, und die Aufstandsbewegungen blieben räumlich auf die russischen Territorien begrenzt. Die Ursachen beruhten vor allem darauf, dass die zaristische Regierung zwar in den 1850er-Jahren einige Lockerungen zugelassen und innenpolitische Zugeständnisse gemacht hatte, diese aber in Teilen der polnischsprachigen Bevölkerung als unzureichend angesehen worden waren. Proteste, bei denen sich der Wunsch nach weitergehenden Freiheitsrechten ausdrückte, waren zudem scharf unterdrückt worden. Russische Truppen hatten eine friedliche Demonstration in Warschau zusammengeschossen, wobei mehr als 100 Menschen starben. Allerdings wurde der Aufstand von 1863 nur schlecht vorbereitet und die Rebellen verfügten über viel zu wenige Waffen. Auch gelang es ihnen nicht, die Hauptstadt Warschau zu besetzen, sodass ihnen ein logistisches Zentrum fehlte. Immerhin konnten die Rebellen sich aber etwa 15 Monate halten, und erst im Frühjahr 1864 brach der Aufstand zusammen, auch wenn einzelne Einheiten noch fortfuhren, einen Partisanenkrieg zu kämpfen. Die russischen Reaktionen waren erneut sehr hart. Über 400 Aufständische wurden hingerichtet und über 20 000 nach Sibirien deportiert. Auch wurde das zuvor relativ gut ausgebaute Schulsystem ausgedünnt. Der Gebrauch der polnischen Sprache in der Schule wurde grundsätzlich verboten und in einigen Regionen stieg die Zahl der Analphabeten auf bis zu 70 Prozent an. Viele tausend polnische Intellektuelle, ehemalige Soldaten und Politiker fl ohen nach Westeuropa oder in die USA, wo sie einfl ussreiche Netzwerke formierten. Dieser und die vorangegangenen Aufstände stellten später für die polnische Nationalbewegung einen wichtigen Bezugsrahmen dar. Beispielsweise komponierte der berühmte Pianist, Komponist und Politiker Ignacy Jan Paderewski 1909 eine Symphonie (h-moll, op. 24), die den Beinamen „Polonia“ erhielt und die dem Nationalaufstand von 1863 gewidmet war. In diesem Werk wurde musikalisch mehrfach das sogenannte „Lied der Legionen“ zitiert, das später unter dem Titel „Noch ist Polen nicht verloren“ zur polnischen Nationalhymne2 wurde. 1. Versetzen Sie sich mit einem Mitschüler in die Rolle eines Bauern, der vor 1815 über 16 Jahre Krieg erlebt hat, und eines liberalen Demokraten. Führen Sie ein Streitgespräch über die Frage „Was ist besser: Freiheit oder Frieden?“. 2. Schreiben Sie einen Redebeitrag aus der Sicht eines Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, der entweder für oder gegen die Wiederherstellung eines selbstständigen Polen ist. Lesen Sie zur „Polendebatte“ nochmals die Darstellung auf Seite 274 und informieren Sie sich auch im Internet über das Thema. 3. Recherchieren Sie zu den historischen Ereignissen des 18. März, des 3. Oktober und des 9. November im Internet. Erörtern Sie anschließend die Frage, welcher dieser Tage der geeignetste nationale Gedenktag wäre. 1 Zur italienischen Einigungsbewegung siehe Seite 283 f. 2 Vergleichen Sie hierzu M2 auf Seite 276 f. 32017_1_1_2016_Kap3_260-357.indd 275 04.05.16 10:44 Nu r z u Pr üf z ec k n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |