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345Deutsche und polnische Geschichte nach 1945 Nationalismus in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand der Nationalismus nicht einfach aus den Köpfen der Menschen. Dennoch entstanden mehrere neue Tendenzen. Erstens trug die erfolgreiche Entwicklung der neuartigen europäischen Institutionen dazu bei, dass allzu engstirniges nationalistisches Denken abnahm. Zweitens hatten die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges gezeigt, welche grauenhaften Formen hypernationalistische Ideen nach sich ziehen konnten. Deshalb fand schon in den 1950er-Jahren in der Bundesrepublik extremer Nationalismus keine Massenbasis mehr. Drittens hatte die Verbindung dieses Nationalismus mit dem ebenso extremem Antisemitismus und Rassismus direkt zu den Vernichtungslagern des Nationalsozialismus geführt: Rassistische Positionen konnten danach kaum noch in der deutschen Öffentlichkeit gerechtfertigt werden, auch wenn sie niemals völlig verschwanden. In der Bundesrepublik der 1960erund 70er-Jahre bestand dennoch eine erhebliche Unsicherheit, auf welche Weise man mit der Idee der „Nation“ umgehen solle. Patriotismus, das heißt der Stolz auf das eigene Land oder die Heimat, ist keineswegs grundsätzlich negativ. In den 1970erund 80er-Jahren haben einige Intellektuelle deshalb vorgeschlagen, den Begriff des Verfassungspatriotismus einzuführen. Dieser Terminus besagte, dass der Stolz auf gemeinsame politische Werte wie Freiheit, Demokratie und Verfassung gefördert werden sollte. Zugleich hatte dieses Konzept den Vorteil, dass sich auch Einwanderer mit dem parlamentarischen Staat identifi zieren konnten. Allerdings hat sich die Vorstellung, über die Verfassung ein neues Verständnis der Nation zu fi nden, bisher nur teilweise durchgesetzt. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 entstanden zwei sich widersprechende Entwicklungen. Einerseits befand sich der Nationalismus weiterhin auf dem Rückzug. Allen demokratischen Politikern in der Bundesrepublik war klar, dass der neue Staat unbedingt eng in europäische Strukturen eingebunden bleiben musste, weil in der Öffentlichkeit vieler Nachbarstaaten Befürchtungen vor der Macht des neuen, nun viel größeren Deutschland bestanden. Der Regierung von Helmut Kohl war vor allem das gute Verhältnis zu Frankreich wichtig.1 Zugleich fanden sich aber auch skeptische Stimmen, die vor der zunehmenden Macht einer Bürokratie der EU in Brüssel gewarnt haben. In der Tat ist es manchmal für viele Deutsche schwierig, sich mit den unpersönlichen EU-Institutionen zu identifi zieren. Entscheidungen erscheinen als wenig transparent oder nachvollziehbar, während die nationalen Parlamente scheinbar immer weniger zu sagen haben. Diese Kritik ist keine deutsche Besonderheit, sondern fi ndet sich in allen europäischen Staaten in unterschiedlicher Intensität. Die deutsch-polnische Schulbuchkommission Viele weitere kleine Initiativen, die meistens privat organisiert wurden, zielten bereits seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges darauf ab, das deutsch-polnische Verhältnis zu verbessern. Der Historiker und Politiker Georg Eckert hatte beispielsweise internationale Konferenzen mit den deutschen ehemaligen Kriegsgegnern organisiert, auf denen systematisch Schulbücher analysiert wurden, um Vorurteile und Feindbilder abzubauen. Nach seinem Tod wurde mithilfe des Landes Niedersachsen 1975 in Braunschweig das Georg-EckertInstitut gegründet, das weiterhin Schulbücher bewerten sollte. Ferner veranstaltete das Institut Konferenzen, auf denen Wissenschaftler und Historiker zusammenkamen, um den jeweiligen Forschungsstand zu diskutieren. Von Anfang an hatte hier die gemeinsame deutsche und polnische Geschichte ein erhebliches Gewicht. Regelmäßig wurden Helmut Kohl (geb. 1930): 1969 1976 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, 1973 1998 Bundesvorsitzender der CDU, 1982 1998 Bundeskanzler 1 Zum deutsch-französischen Verhältnis siehe auch die Abbildung auf Seite 305. 32017_1_1_2016_Kap3_260-357.indd 345 04.05.16 10:45 Nu r z u Pr üf z ec ke n Ei ge n um d s C .C . B uc hn er V er la gs | |
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