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39„Nation“ und „Minderheiten“ „Nation“ und „Minderheiten“ Wer gehört zu den Staatsbürgern? Wenn sich ein Volk in einer Nation zusammenfi ndet, muss defi niert werden, wer zu diesem Volk gehört und wer nicht. Dies gilt besonders in demokratischen Staaten, weil geklärt werden muss, wer wahlberechtigter Staatsbürger ist. Die europäischen Nationalstaaten haben dieses Problem sehr unterschiedlich gelöst. In Frankreich galt beispielsweise theoretisch das Prinzip, dass jeder Mensch, der Französisch sprach und sich zur französischen Nation und zur französischen Kultur bekannte, auch die Staatsbürgerschaft beantragen konnte. Diese Regelung galt allerdings nur sehr eingeschränkt für Afrikaner oder Vietnamesen, die aus den französischen Kolonien kamen. Im Deutschen Reich war diese Frage zunächst nicht zentral geregelt. In Preußen galt das männliche Abstammungsprinzip: Jeder Mensch, der einen preußischen Vater hatte, war automatisch auch preußischer Staatsbürger. Diese Regelung wurde 1913 in einem Staatsbürgerschaftsgesetz für das gesamte Deutsche Reich übernommen. Was ist eine Minderheit? Im Deutschen Reich spielte Religion eine wichtige Rolle für die Defi nition von Minderheiten. In Preußen stellten die Katholiken eine Minorität dar, die in den 1870er-Jahren während des sogenannten Kulturkampfes offensiv bekämpft wurde. Hintergrund für den Kulturkampf waren die Auseinandersetzungen zwischen den Liberalen und dem Vatikan. Obwohl der Papst auch von vielen Katholiken kritisiert worden war, warfen die Liberalen den preußischen Katholiken pauschal „Ultramontanismus“ vor und unterstellten ihnen eine antinationale Gesinnung. Viele Priester und Bischöfe wurden verhaftet, katholische Vereine überwacht und Gottesdienste behindert. Allerdings war diese Politik wenig erfolgreich und hat eher dazu geführt, dass Katholiken sich zusammenschlossen und zur Wehr setzten. In den Jahren nach 1880 begann ein langsamer Prozess der Normalisierung, und nach 1900 waren auch in Preußen Katholiken in der Regel integriert. Sie verfügten mit der Zentrumspartei und einem sehr gut organisierten Vereinswesen auch über eine starke institutionelle Verankerung. Auch die Juden stellten eher eine religiöse, als eine nationale Minderheit dar. Rechtlich waren sie 1871 nach der Reichsgründung völlig gleichgestellt. Allerdings entstand seit den späten 1870er-Jahren langsam ein neuer Antisemitismus, der nicht mehr religiös, sondern rassistisch argumentierte. Der Zionismus, also die Idee, dass die Juden irgendwo auf der Welt einen eigenen Staat erhalten sollten, hatte im Deutschen Reich aber dennoch nur sehr wenige Anhänger. Die meisten Juden passten sich – auch wenn sie ihre Religion beibehielten – überall wo es möglich war der deutschen Kultur an. Sehr viele Juden betrachteten sich selbst als einen deutschen Volksstamm wie etwa die Bayern, die Württemberger oder die Preußen. „Nationale“ Minderheiten im Deutschen Kaiserreich Vor allem in den Randgebieten des Kaiserreiches wohnten sprachliche Minderheiten. Die zahlenmäßig größte Minorität waren erstens die Polen. In den beiden Provinzen Elsass und vor allem in Lothringen, die 1871 annektiert worden waren, lebten zweitens französischsprachige Menschen, die sich kulturell meist nach Frankreich orientierten. Sie wurden bis zum Ersten Weltkrieg teils offen, teils versteckt diskriminiert, und der deutsche Staat hat ihnen kaum ein Angebot zur Integration gemacht. Anders als die anderen Minderheiten durften sie aber in bestimmten Situationen (im Verkehr mit der Verwaltung oder vor Gericht) wenigstens Französisch sprechen. Drittens bestand in Schleswig, das 1866 Ultramontanismus (von lat. „ultra montes“: „jenseits der Berge“): also jenseits der Alpen dem Papsttum und nicht dem preußischen Staat gegenüber loyal Konfessionen Anzahl Protestanten 35 231 104 Katholiken 20 327 913 Juden 586 833 Andere 221 328 i Konfessionen im Deutschen Reich. Stand: 1. Dezember 1900. Kaiserliches Statistisches Amt, (Hrsg.) Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1906, S. 4 Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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