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41„Nation“ und „Minderheiten“ polnischen Nationalismus. Zweitens war es zwar möglich, durch bürokratischen Druck Polen zur Abwanderung zu zwingen oder an der Neuansiedlung zu hindern, aber Deutsche waren kaum daran interessiert, in die teilweise wenig entwickelten agrarischen Gebiete im Osten zu ziehen, in denen sie zudem selbst oft eine Minderheit dargestellt hätten. Selbst nationalistische Fanatiker, die von einem „reinrassigen“ deutschen Osten träumten, wohnten lieber in Berlin oder in Hamburg als auf einem abgelegenen Bauernhof in der Nähe von Posen, wo es keine Theater oder andere Freizeiteinrichtungen gab und der nächste Bahnhof viele Kilometer entfernt war. Bis 1914 wurden – trotz der massiven Propaganda – nur 22 000 deutsche Bauernfamilien angesiedelt. Drittens war das Deutsche Kaiserreich zwar ein autoritärer Staat, aber dennoch – ganz anders als später das nationalsozialistische Deutschland – ein Rechtsstaat. Findigen Polen gelang es immer wieder, Gesetzeslücken für sich auszunutzen oder juristische Übertretungen deutscher Beamter in der Presse anzuprangern. Die Entwicklung des nationalen Gedankens in Polen Zwar fanden nach 1863 keine polnischen Aufstände mehr statt, aber die aggressive preußische Politik stieß auf breiten und häufi g erfolgreichen passiven polnischen Widerstand, und sie förderte geradezu die Verbreitung von nationalistischen Ideen. In der Stadt Posen und in vielen anderen Orten formierte sich eine friedliche Oppositionsbewegung. Diese proklamierte die „organische Arbeit“, die auf Bildung setzte und anstrebte, besondere polnische Traditionen am Leben zu erhalten und zu stärken. Da keine polnischsprachigen Schulen und Universitäten existierten, fanden Unterricht und Lehre in privaten Wohnungen statt. Überall im deutschen Teilungsgebiet entstand ferner ein sehr lebendiges und aktives Vereinsleben, in dem die nationale Kultur auf vielfältige Weise gepfl egt wurde. Hinzu kam eine breite Publizistik, das heißt, Zeitungen und Zeitschriften sowie Bücher und Romane wurden geschrieben, die auf vielfältige Weise den nationalen Gedanken hochhielten und die polnische Vergangenheit feierten. Mehrfach gab es Schulstreiks, bei denen polnische Jugendliche gegen die scharfen Sprachvorgaben protestierten. Zu besonderen Jahrestagen oder Jubiläen wurden große kulturelle Veranstaltungen abgehalten (u M3). Eine wichtige Stütze des nationalen Gedankens war die polnische katholische Kirche. Diese oppositionellen Polen konnten auch darauf verweisen, dass im österreichischen Teilungsgebiet viel mehr Freiheiten bestanden. Dort war Polnisch sogar als untergeordnete zweite Sprache in der Armee gestattet, und in mehrheitlich polnischsprachigen Gebieten bestand ein gewisser Grad an kommunaler Selbstverwaltung. 1903 schlossen sich im Deutschen Reich mehrere bis dahin konkurrierende polnische Parteien zur Polnischen Nationaldemokratischen Partei (kurz Polenpartei) zusammen. Während des gesamten Kaiserreiches erzielten die polnischen Minderheitsparteien konstant zwischen etwa drei und vier Prozent der Stimmen. Bei den Reichstagswahlen von 1907 erreichte die Polenpartei fünf und 1912 vier Mandate. Sie war auch im preußischen Landtag und in zahlreichen Stadträten vertreten. Mehrfach versuchte die Partei, loyal mitzuarbeiten und konstruktive Vorschläge zu machen, die i Ein listiger Pole stellt sich gegen die Germanisierungspolitik. Foto vom April 2010. Mehrere Jahre lang machte der polnische Bauer Michał Drzymała die Germanisierungspolitik der preußischen Behörden mit einem Zirkuswagen regelrecht lächerlich. Das Foto zeigt eine moderne Nachbildung seines berühmten Wagens. p Recherchieren Sie im Internet über die Geschichte des Bauern und seines Zirkuswagens. Fassen Sie Ihre Ergebnisse anschließend in einem kurzen Bericht zusammen. Nu r z u Pr üf zw e ke n Ei ge nt um d s C .C .B uc hn r V er la gs | |
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