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69Demokratie und Diktatur in der Zwischenkriegszeit einem Nationalstaat, in dem sehr viele Nationalitäten lebten, denen aber nur sehr wenige eigenständige Rechte zugestanden wurden. Von den drei Westmächten Großbritannien, USA und Frankreich gezwungen, musste die polnische Regierung zwar einen Vertrag über den Schutz von Minderheiten unterzeichnen, der aber in der Praxis häufi g nicht eingehalten wurde. Die Schwierigkeiten der Staatsgründung in Polen Im Moment der Staatsgründung stand das neue Polen vor immensen weiteren Problemen. Die erheblichen Kriegszerstörungen erforderten ein fi nanzielles Engagement, das der Staat alleine nicht aufbringen konnte. Nur großzügige französische Hilfe ermöglichte den Aufbau staatlicher Strukturen. Dennoch kollabierte die Währung wie in Deutschland in einer Hyperinfl ation, und die Mittelschichten verarmten. Derartige Infl ationen gab es in mehreren Staaten: Beispielsweise stiegen die Preise im Vergleich zur Vorkriegszeit in Österreich um das 14 000-Fache, in Ungarn um das 23 000-Fache, in Polen um das 2,5-MillionenFache und in Deutschland um eine Billion. Erst Anfang 1924 konnte in Polen eine neue und stabile Währung eingeführt werden. Doch erzwang diese Währungsreform einen harten Sparkurs, durch den die Arbeitslosigkeit drastisch anstieg. Sie blieb mehrere Jahre lang auf einem hohen Niveau. In den ehemaligen drei Teilungsgebieten und in einigen der neu eroberten Territorien existierten völlig unterschiedliche gesetzliche Regelungen und ökonomische Voraussetzungen. Die Probleme begannen damit, dass drei bzw. vier ganz unterschiedliche Verwaltungs-, Verkehrsund Rechtssysteme bestanden. Maße, Gewichte, Währungen, die Spurbreiten der Eisenbahnen und viele weitere Regeln des Alltags mussten vereinheitlicht werden. Das russische Teilungsgebiet war vor 1914 vollständig in den zaristischen Wirtschaftsraum integriert gewesen, aber nach dem Ende der Grenzkriege war der Handel fast vollständig zusammengebrochen – er betrug weniger als ein Prozent des polnischen Gesamthandels. Ferner mangelte es an Rohstoffen, der Lebensstandard war niedrig, sodass auch kaufkräftige Konsumenten fehlten, und große Teile der kleinbäuerlichen Landwirtschaft waren nicht weltmarktfähig. Auch die Etablierung eines funktionierenden demokratischen Systems erwies sich als schwierig. Parteien und Parlament konnten in Polen, wie auch in anderen neuen Staaten im Baltikum oder im SHS-Staat (das spätere Jugoslawien), kaum auf bestehenden Traditionen aufbauen. Anders als etwa im Deutschen Reich oder in Österreich existierten keine entsprechenden Organisationen von Vorgängern und keine Strukturen, an die hätte angeknüpft werden können. 1926 bestanden 26 polnische Parteien und 33, die die Minderheiten vertraten. Viele dieser Parteien stützen sich nur auf einige regionale Wählergruppen. Oft traten sie auch nicht mit besonderen programmatischen Aussagen auf, sondern glichen Personenverbänden, die sich um prominente Politiker sammelten. Diese starke Zersplitterung schwächte häufi g die Regierungen, die ständig versuchen mussten, sowohl zwischen Konfl iktgruppen zu vermitteln als auch an der Regierung zu bleiben. Diese Instabilität erschwerte die Lösung von Problemen erheblich. Der Aufbau eines demokratischen Staates verlief nach dem Ende der Grenzkriege 1921 deshalb nur schleppend. Viele polnische Verwaltungsbeamte haben – gemessen an den massiven Schwierigkeiten – ausgezeichnete Arbeit geleistet und waren pragmatisch mit den Problemen umgegangen. Zwischen 1921 und 1926 wurden zahlreiche Reformen angegangen: Schon im November 1918 wurde der gesetzliche Achtstundentag eingeführt, drei Monate später wurde in den ehemals russischen Gebieten die Schulpfl icht verordnet, wo schätzungsweise bis zu einem Drittel der Erwachsenen Hyperinfl ation: eine völlig außer Kontrolle geratene Geldentwertung durch Ansteigen aller Preise Nu r z u P üf z ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc ne r V er la gs | |
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