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zu haben und hilfl osen Jungs wie mir den Kopf zu verdrehen. Sie trug platinblond gefärbtes Haar, das sie mit viel Gel zu einer Tolle formte. Sie hatte das auf einem Foto von Pink abgeguckt und war eindeutig die hübschere Variante von beiden. Noch eine Gemeinsamkeit hatte sie mit ihrer Lieblingssängerin: Sie war Frontfrau einer Band. Zwar nur eine Schülerband, aber das war ein Anfang. Nach dem Abschluss wollte sie nach Mannheim, auf die Popakademie. Wir hatten gemeinsam im Fernsehen einen Bericht darüber gesehen. Sandra hatte Talent und sah umwerfend aus. Es war genau genommen also nur eine Frage der Zeit, bis sie sich von mir trennte. Seit sie Schluss gemacht hatte, war irgendeine neuronale Schaltung in meinem Kopf umgelegt. Ich musste 24 Stunden am Tag ununterbrochen an sie denken. Was wir gemacht und nicht gemacht hatten. Was wir geplant und nicht geplant hatten. Was wir gesagt und nicht gesagt hatten. Sogar wenn ich mal nicht an sie dachte, dachte ich an sie. Jede einzelne Sekunde grübelte ich über unsere verfahrene Beziehung nach. Ich war echt am Ende, reif für die Klapse, und andere Mädchen interessierten mich nicht. Sah ich ein Schnitzel, dachte ich daran, wie Sandra die Gabel gehalten hatte. Sah ich einen Möbelwagen, dachte ich an den alten Schreibtisch, den sie von oben bis unten mit Edding vollgeschmiert hatte, nur so als Gag. Sah ich das Kinoprogramm für nächste Woche, dachte ich an ihren Lieblingsfi lm. „Liebe braucht keine Ferien“. Fängt der nicht auch mit einer Blondine an, die ihren Kerl vor die Tür setzt? Ich hätte es ahnen müssen. Ich war in einer gedanklichen Endlosschleife gefangen. Also war Calimero der Glückspilz. Er lief zwischen mir und Basti, seine Mütze in die Stirn geschoben. Die Hände waren in den Taschen seiner Hose versenkt und er hatte einen Schritt drauf, als würde er goldene Hamster jagen. Wegen ihm rannten wir dem Mädchen bestimmt schon seit fünf Minuten durch die Fußgängerzone hinterher. Pfi ff en ihr wechselseitig nach und ließen ein paar dämliche Anmachsprüche ab, als wären wir hauptberufl iche Großstadtpfl anzen. „Wo hast du diesen geilen Hintern gekauft?“, schrie Basti. Und Calimero schnalzte mit der Zunge. Aber das Mädchen war defi nitiv eine Nummer zu cool. Ging einfach weiter mit diesem wippenden Gang. Drehte sich kein einziges Mal um, zu uns Spinnern. Und an der Kreuzung passierte es dann. Sie war ein paar Meter vor uns. Die Ampel stand schon ewig auf Grün. „Wenn Rot ist und du stehen bleibst, krieg ich ’nen Kuss!“, schrie Calimero und ein paar Fünftklässler, die an der Telefonzelle hingen, sahen uns neidisch nach. Die Ampel sprang tatsächlich auf Rot, aber das Mädchen lief in letzter Sekunde trotzdem noch rüber. Obwohl man den Laster kilometerweit hören konnte. Er kam angepest, mit 70 Sachen durch die Innenstadt, schoss um die Kurve und bremste mit quietschenden Reifen gerade noch ab. Es sah aus wie eine Szene aus einem Action-Film. Unwirklich und wie ein lebensgefährlicher Stunt. Um ein Haar hätte er das Mädchen überfahren. Der Brummilenker stand kurz vor dem Herzinfarkt. Sein Gesicht war aschfahl, die Augen quollen ihm aus der Birne. Er hupte wie verrückt. Aber das Mädchen scherte sich überhaupt nicht darum. Ging einfach ganz 80 85 90 95 100 115 120 125 130 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 Literarische Texte ergänzen und weiterschreiben 77 Der Wel t der erzä hlenden Literatu r begegn en ➞ AH S. 11 f. 11077_1_1_2016_056_089_04.indd 77 26.08.16 11:41 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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