Volltext anzeigen | |
„In einem Cafe. Es heißt Freak City.“ „Aha. Wusste gar nicht, dass die Kleine in Cafés abhängt!“ Cindy zwinkerte mir zu. „Sie isst dort immer zu Mittag“, klärte ich sie auf. „Ehrlich?“ Cindy zog die Augenbrauen hoch. „Dachte, sie isst in der Schule was. Ich gehe in der Mittagspause immer nach Hause. Mache übrigens eine Ausbildung in einer Bank.“ Ich nickte. Genau das hatte ich bereits befürchtet. „Und du? Schon fertig mit der Schule?“ Ich kam mir langsam vor wie bei einem Verhör. Ich schüttelte den Kopf. „Habe noch ein Jahr Realschule vor mir.“ […] „Lea ist auch in einem Jahr fertig.“ Sie sah mich aus großen grünen Augen an. Die gleichen Augen wie Lea, derselbe intensive Blick. „Mein Vater hat ihr schon jetzt einen Ausbildungsplatz organisiert. Eine echt gute Sache. Ich kenne so viele, die ohne Arbeit sind! Ich musste mich um meine Anstellung ganz alleine kümmern.“ Ich biss mir auf die Lippe. „Eigentlich will sie ja studieren“, sagte ich. „Hat sie nichts davon erzählt?“ Cindy hob die Schultern an. „Mal ehrlich, wie soll das funktionieren? Erstens kann sie als Gehörlose nur Fachabitur machen, und das ist bloß an vier Schulen in Deutschland möglich. Zweitens bräuchte sie einen ganzen Stab Dolmetscher, der sie in die Uni begleitet. Aber es gibt zu wenige und es ist auch irre aufwendig. Und überhaupt, was wäre danach? Ich meine, wer würde sie einstellen? Eine gehörlose Psychologin! Es ist wichtig, dass Lea unabhängig wird, ihr eigenes Geld verdient, sich ein Leben aufbaut. Glücklich wird. Verstehst du, was ich meine?“ Es klang irgendwie plausibel, was Cindy da sagte. […] „Kannst du Gebärdensprache?“, fragte Cindy schließlich. Die Frage hatte ich befürchtet. Bestimmt würden sie sich gleich alle totlachen über mich. Wenn Lea erst da war und ich wie ein stummer Fisch am Tisch sitzen würde. Mit meinen paar Brocken musste ich mich zwangsweise schrecklich blamieren. „Ich mache gerade einen Intensivkurs“, murmelte ich. „An der Uni, jeden Nachmittag.“ „Sieh an“, sagte die Mutter. Sie begann den Tisch zu decken. „An der Uni kann man das also lernen. Wusste ich gar nicht. Ich dachte, das geht nur über die VHS.“ […] Ich setzte ein verkrampftes Lächeln auf. Wir hatten uns gut verstanden im Freibad, Lea und ich. Und sie wollte mich wiedersehen, das hatte sie selbst gesagt. Aber Tommek und Biene hatten Recht gehabt mit ihrer Befürchtung. Als Lea in die Küche trat, wich ihr für einen Moment jegliche Farbe aus dem Gesicht. Sie sah mich an wie eine Erscheinung. Nicht wie eine Heiligenerscheinung, sondern als hätte sie einen plötzlichen Horrortrip. „Sorry“, formte ich mit den Händen. „Ich wollte dich Wiedersehen! Du hast dich nicht mehr gemeldet seit unserem Treff en.“ […] Jeder Faser ihres Körpers merkte man an, dass sie zornig war und 100 115 120 125 130 135 140 55 60 65 70 75 80 85 90 95 Beziehungen und Konflikte wahrnehmen 85 Der Wel t der erzä hlenden Literatu r begegn en ➞ AH S. 91 f. 11077_1_1_2016_056_089_04.indd 85 26.08.16 11:41 Nu r z u Pr üf zw ec ke n E ge tu m d s C .C .B uc hn r V er la gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |