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merksamkeit, selbst jene nicht, die nicht die geringste Hoffnung hegten, gesehen zu werden; er registrierte genauestens die Abwesenheit derer, die zum Hof gehörten, oder derer, die nur vorübergehend zu erscheinen pfl egten; er rechnete die allgemeinen und besonderen Ursachen dieses Nichterscheinens zusammen, und er versäumte keine Gelegenheit, die Betreffenden dementsprechend zu behandeln. […] Seine Neugier bewog ihn, dem Polizeipräfekten unerhörte Vollmachten zu gewähren. Die Polizeibeamten wurden in Frankreich mehr als die Minister – ja sogar von diesen selbst – gefürchtet, und jedermann, auch die Prinzen von Geblüt, nahm die größte Rück sicht auf sie. Der König erhielt von ihnen nicht nur sachliche Berichte, er ließ sich zu seinem Vergnügen auch noch sämtliche Pariser Liebeshändel und Skandalgeschichten erzählen. Aber das schlimmste Auskunftsmittel, dessen sich der König bediente, war das Öffnen der Privatbriefe; dies geschah lange Zeit, ohne dass man das Gerings te davon ahnte. […] Niemand verstand es, Gunstbeweise mit größerer Anmut zu spenden und dergestalt den Preis seiner Wohltaten zu erhöhen; niemand vermochte seine Aussprüche, sein Lächeln, ja sogar noch seine Blicke so teuer zu verkaufen wie er. Durch die Unterschiede, die er machte, und durch sein majestätisches Gebaren verlieh er allem eine gewisse Kostbarkeit, wozu die Seltenheit und die Kürze seiner Bemerkungen nicht wenig beitrugen. Sobald er sich mit der belanglosesten Frage jemandem zuwandte, richteten sich die Blicke aller Umstehenden auf den Betreffenden; es war dies eine Auszeichnung, die man zur Kenntnis nahm und die stets zur Erhöhung des Ansehens beitrug. So verhielt es sich mit all den Aufmerksamkeiten, den Auszeichnungen und Bevorzugungen, die er nach Maßgabe verteilte. Niemals ließ er sich hinreißen, jemandem ein beleidigendes Wort zu sagen, und wenn er jemanden zu ermahnen oder zu tadeln hatte – was selten der Fall war –, so tat er es immer in freundlichem Ton, niemals barsch oder im Zorn. Zitiert nach: Sigrid von Massenbach (Übers. u. Hrsg.), Die Memoiren des Herzogs von Saint-Simon, Frankfurt am Main/Berlin 1991, S. 290 292 1. Der Herzog von Saint-Simon war kein unvoreingenommener Beobachter, aber er wird überwiegend durch andere Quellen bestätigt. Entwerfen Sie ein Bild der Herrscherpersönlichkeit Ludwigs XIV. 2. Erläutern Sie, wie sich das Verhalten des Königs auf die Hofangehörigen auswirkte. 3. Erklären Sie, warum der Hof ein so geeignetes Instrument war, den Adel in die Monarchie einzufügen. 10 15 20 25 30 35 40 45 M3 Die Bilanz Ludwigs XIV. Der Historiker Klaus Malettke (geb. 1936) zieht eine Bilanz der Regierung des „Sonnenkönigs“: Unter Ludwig XIV. wurde der monarchische Absolutismus in Frankreich ausgebaut und verfestigt. Die königliche Zentralverwaltung und die Provinzialadministration wurden effektiviert. Zu Recht ist der endgültige Aufund Ausbau eines straffen Netzes von etwa dreißig Intendanten, die als jederzeit abberufbare Funktionsträger des Königs in den Provinzen und als Gegengewicht gegen die traditionellen Amtsträger (offi ciers) und partikulare Gewalten etabliert wurden, als eine der bedeutendsten innenpolitischen Entwicklungen der Herrschaft Ludwigs XIV. bezeichnet worden. Ebenso gehören die Gesetzgebungswerke des Königs auf dem Gebiet der Rechtspfl ege, des Forstwesens, des Handels, der Handelsschifffahrt und des Sklavenhandels zu den großen Leistungen seiner Regierung. Über diesen Erfolgen dürfen aber nicht die Grenzen seiner Leistungen auf dem Felde der Innenpolitik verkannt werden. Die […] strukturellen Gegebenheiten und die aggressiven außenpolitischen Ambitionen des Königs, die besonders nach 1672 deutlich werden, setzen den Reformimpulsen ein vorzeitiges Ende. Dies hatte zur Folge, dass die Rechtsund Verwaltungsreformen und die vielfältigen merkantilistischen Förderungsmaßnahmen kein dauerhaftes und in die Zukunft weisendes Bündnis eingehen konnten. Vielmehr erwies sich auch im Frankreich Ludwigs XIV., dass die langfristigen merkantilistischen Konzepte durch die Kriegsund Repräsentationspolitik des Königs zugunsten kurzfristiger fi skalischer Vorteile instrumentalisiert wurden. Klaus Malettke, Ludwig XIV. von Frankreich. Leben, Politik und Leistung, Göttingen 1994, S. 156 f. 1. Erklären Sie, was der Autor mit „kurzfristige[n] fi skalische[n] Vorteile[n]“ (Zeile 26 f.) meint. 2. Überprüfen Sie Malettkes Urteil anhand der Informationen aus dem Verfassertext. 5 10 15 20 25 133 Die absolute Monarchie am Beispiel Ludwigs XIV. Nu r z P rü fzw ec e Ei ge nt um d es C .C .B uc h er V er la gs | |
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