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entwickelten sich in der Folge zum ersten Mal in der europäischen Geschichte Initiativen zur europäischen Integration. Politisch begünstigt wurden sie durch den Völkerbund*, der 1919 ins Leben trat. Er verstand sich als Organisation der freien Völker in der Welt und machte es sich zur Aufgabe, kollektiv den Frieden zu sichern und die internationale Zusammenarbeit zu fördern. Die Initiativen zur europäischen Einigung fi nden sich in drei Bereichen: in der Publizistik, in der politischen Planung und in europapolitischen Vereinigungen. In Zeitungen und Hunderten von Artikeln und Büchern wurde die Integration Europas immer wieder thematisiert. Der bedeutendste Plan stammt vom französischen Außenminister Aristide Briand. Er schlug bei einer Völkerbundversammlung 1929 eine föderative Verbindung der europäischen Staaten vor. Sie sollten ihre Unabhängigkeit bewahren, aber einen festen Rahmen für die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit schaffen. Der Europaplan Briands hatte im Kern ein sicherheitspolitisches Ziel. Er sollte den Frieden nach dem Ersten Weltkrieg stabilisieren und hätte vor allem Deutschland im neuen europäischen Verbund verpfl ichten können, die Bedingungen des Versailler Vertrags einzuhalten. Jedoch entzogen sich Deutschland wie die übrigen Mächte dem Plan Briands. Die Initiative des französischen Staatsmannes war trotz des Scheiterns das Beispiel für den späteren Start der europäischen Integration um 1950. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war es ein Ziel, Deutschland international einzubinden, damit von ihm nach einem Wiedererstarken keine Gefahr mehr ausgehen konnte. Unter den europapolitischen Vereinigungen hatte die Paneuropa-Union, die der Österreicher Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi 1922 gründete, die meisten Mitglieder in verschiedenen Staaten. Pläne für eine rein wirtschaftliche Kooperation, mit der nach dem Zweiten Weltkrieg der Integrationsprozess tatsächlich in Gang kam, gab es bereits 1925. Dabei sollte ein europäischer Zollverein für den Abbau von Zollschranken und einen gemeinsamen Markt eintreten. Chancen für Europaprojekte am Ende des Zweiten Weltkriegs Der Zweite Weltkrieg festigte die weltpolitische Lage, die sich nach dem Ersten Weltkrieg bereits abgezeichnet hatte. Die USA und die Sowjetunion beendeten den Krieg 1945 als Weltmächte und behielten in der Zeit danach ihre militärische, wirtschaftliche und politische Überlegenheit bei. Sie bestimmten die Neuordnung Deutschlands und Europas, während die beiden anderen Siegermächte Großbritannien und Frankreich, geschwächt infolge der Kriege und wirtschaftlichen Krisen, ihren weltpolitischen Vorrang unwiederbringlich einbüßten. Deutschland hatte den selbst verursachten Krieg militärisch verloren. Politisch verlor ganz Europa an Bedeutung. Was weitsichtige Staatsmänner, Publizisten und wachsame Bürger schon länger vorausgesehen hatten, war mit dem Verlauf und Ende des Zweiten Weltkriegs für jedermann offenkundig. Führende Vertreter von Exilregierungen hatten daher schon vor 1945 die Chancen für eine Gemeinschaftsbildung ostund westeuropäischer Staaten erwogen. Der Belgier Paul-Henri Spaak, später ein führender Europapolitiker, setzte sich für einen Zusammenschluss der Benelux-Länder mit Frankreich ein. General Charles de Gaulle, später französischer Staatspräsident, beschäftigte sich im Londoner Exil 1943 mit einer Föderation des westlichen Europa. Diese Projekte zeigten den grundlegenden Wandel des politischen Denkens. Um zu einem Staatenverbund zu gelangen, durfte das Prinzip föderativ (lat. foedus: „Bündnis“, „Vertrag“): Bezeichnung für einen Staatenverbund, in dem Einzelstaaten Rechte an den Verbund abtreten i Briand fordert die Einigung Europas. Karikatur aus der satirischen Zeitschrift „Kladderadatsch“ vom 15. Juni 1930. * Siehe Seite 300. Paneuropa-Union: Ziel waren die „Vereinigten Staaten von Europa“. Die PaneuropaUnion vertraute darauf, dass eine Verständigung von Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen eine staatliche Einigung anstoßen könne; dabei sollten Freiheit und Wohlstand der Europäer gegen die aufstrebenden Mächte, die Sowjetunion und die USA, bewahrt werden. In Deutschland wurde die Union 1933 von den Nationalsozialisten verboten. Paul-Henri Spaak (1899 1972): belgischer Politiker; mehrfach Ministerpräsident und Außenminister; bekleidete bedeutende Ämter bei internationalen und europäischen Organisationen 519Der Weg zur europäischen Integration Nu r z u P üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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