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Polnischsprachige Zuwanderer und katholische Kirche Ein Großteil der Vereine war zunächst an die katholische Kirche gebunden gewesen. Sie bot vor dem Hintergrund der religiösen Bindung einer großen Zahl der Zuwanderer eine wichtige Anlaufstation, die auch über den engeren religiösen Bereich hinaus den Zuwanderern viele Hilfen geboten hatte. Im Laufe der Jahrzehnte nahm die Zahl der Vereine, die außerhalb der kirchlichen Strukturen standen, allerdings stark zu. Das resultierte nicht nur aus der Tatsache, dass keineswegs alle Zuwanderer kirchlich eng gebunden waren, sondern auch aus dem zunehmenden Druck der preußischen Verwaltung auf die katholische Kirche, die Unterstützung für Zuwanderer polnischer Sprache zu beschränken und deren Vereine streng zu kontrollieren. Alle Vereine der „Ruhrpolen“ wurden von der Polizei überwacht. Dass sie Versammlungen aufl öste, kam nicht selten vor – entweder weil polnische nationale Symbole gezeigt worden waren, verbotene polnische Lieder gesungen wurden oder sich die Teilnehmer nicht an die seit 1908 bestehende gesetzliche Verpfl ichtung hielten, bei Versammlungen die deutsche Sprache zu verwenden. Abwanderung nach dem Ersten Weltkrieg Trotz des Drucks der antipolnisch orientierten preußischen Politik zeigte sich das Vereinswesen an der Ruhr stabil, eine als Einwanderergruppe erkennbare polnischsprachige Minderheit blieb auch unmittelbar vor 1914 präsent. Während des Ersten Weltkrieges erwiesen sich die polnischsprachigen Preußen als loyale Staatsbürger, die zu Tausenden als Soldaten im preußischen Heer aktiv waren. Abwanderungsbewegungen verringerten den Umfang der polnischsprachigen Minderheit an der Ruhr massiv auf rund 100 000. Die Gründe dafür waren vielfältig: Mit dem Ende des Krieges konnte ein polnischer Staat wieder neu entstehen, der bei vielen polnischsprachigen Zuwanderern an der Ruhr Hoffnungen auf eine bessere Zukunft weckte. Zugleich förderte die ausgesprochen schwierige soziale Lage bei und nach Kriegsende in Deutschland die Abwanderung. Hinzu traten die verschärften antipolnischen Maßnahmen und die Hetze gegen alles Polnische in Deutschland, wo eine große Empörung herrschte, weil die Wiederherstellung der polnischen Staatlichkeit mit dem Verlust deutscher Provinzen verbunden war: Die „Ruhrpolen“ wurden mithin in der deutschen Öffentlichkeit für die im Kontext des Versailler Vertrages erzwungene Abtretung von Teilen des Reichsgebietes verantwortlich gemacht. Wahrscheinlich wanderte ein Drittel der polnischsprachigen Bevölkerung des Ruhrgebietes (100 000 bis 130 000) in den ersten Jahren nach Kriegsende in den neuen polnischen Staat zurück. Viele „Ruhrpolen“ sahen weder im rheinisch-westfälischen Industriegebiet noch im neuen polnischen Staat eine Zukunft. Sie richteten ihre Hoffnungen vor allem auf die schwer kriegszerstörten Gebiete in Nordfrankreich und in Belgien, die nach dem Ende des Krieges wiederaufgebaut wurden. Die dort zu erwartenden zahlreichen Erwerbsmöglichkeiten und hohen Löhne führten ein weiteres Drittel (100 000 bis 130 000) der „Ruhrpolen“ bis 1925 zur Abwanderung nach Westen. Der rapide Schwund der „Ruhrpolen“ auf ca. 100 000 bis Mitte der 1920er-Jahre beschleunigte den Integrationsprozess. Der erhebliche Bedeutungsverlust „ruhrpolnischer“ Vereinigungen aufgrund von Mitgliederschwund, die geringe Neuzuwanderung, der zum Teil schon lange Aufenthalt an der Ruhr, die fortschreitende sprachliche Anpassung vor allem der im Ruhrgebiet Geborenen und der starke Assimilationsdruck (insbesondere nach der nationalsozialistischen Machtübernahme) bildeten Hintergründe und zugleich Kennzeichen dieser Integration, die ihren Abschluss erst nach dem Zweiten Weltkrieg fand (u M6). Versailler Vertrag: im Rahmen der Pariser Friedenskonferenz (18. Januar 1919 21. Januar 1920) am Ende des Ersten Weltkrieges geschlossener Vertrag zwischen Deutschland und den Siegermächten. Durch den Vertrag wurden Grenzen neu gezogen und Deutschland trat 13 Prozent seines Staatsgebietes und zehn Prozent seiner Bevölkerung ab. 141Migration am Beispiel des Ruhrgebietes Nu r z u P üf zw ec ke n E ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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