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179Die Stadt und ihre Bürger im Mittelalter: das Ringen um die städtische Freiheit Dieser hatte einen erwachsenen Sohn, der nicht weniger durch Kühnheit als durch Körperkräfte ausgezeichnet und sowohl wegen verwandtschaftlicher Beziehungen als auch wegen seiner Verdienste bei den vornehmsten Einwohnern der Stadt im höchsten Maße beliebt und anerkannt war. Dieser sammelte seine Knechte und junge Leute aus der Stadt, so viele er in aller Hast zu seinem Beistand zusammenraffen konnte, begab sich in fl iegender Eile zu dem Schiff und verjagte gewaltsam die Diener des Erzbischofs, die energisch auf der Beschlagnahmung des Schiffes bestanden. Als darauf der Stadtvogt1 mit demselben Ziel heranrückte und ein neues Handgemenge hervorrief, wehrte er auch diesen mit der gleichen Hartnäckigkeit ab und jagte ihn davon. Schon eilten beiden Seiten Freunde bewaffnet zu Hilfe, und alles schien auf eine schlimme Auseinandersetzung und einen gefährlichen Kampf hinzudeuten. Als man den Erzbischof benachrichtigte, in der Stadt tobe ein schwerer Aufruhr, schickte er sofort Leute aus, um die Volkserhebung zu beruhigen, und drohte voller Zorn, er werde die aufrührerischen jungen Leute bei der nächsten Gerichtssitzung mit der verdienten Strafe züchtigen. […] Kaum konnte man dem Kampf einigermaßen Einhalt tun. Im Gegenteil hörte der junge Mann, trotzigen Sinnes und durch den ersten Erfolg übermütig gemacht, nicht auf, überall zum Aufruhr zu hetzen. […] Nach dem Mittag, als sich der Tag schon zum Abend neigte und zum Zorn noch Trunkenheit wie Öl zum Feuer kam, stürmten sie aus allen Teilen der Stadt zum Palast des Erzbischofs, und während dieser an einem belebten Ort mit dem Bischof von Münster speist, greifen sie ihn an, schleudern Geschosse, werfen Steine, töten einige von den Beistehenden, jagen die übrigen, die geschwächt sind durch Schläge und Wunden, in die Flucht. […] Den Erzbischof retten die Seinen mit Mühe und Not aus dem Gedränge der Feinde und der Wolke von Geschossen und schleppen ihn in die Kirche des hl. Petrus (der alte Dom), deren Türen sie nicht nur durch Riegel und Balken, sondern auch durch große davorgewälzte Blöcke sichern. Draußen rasen und brüllen wie über die Ufer schäumende Wasserfl uten die Gefäße des Teufels voll vom Weine des Zorns Gottes, laufen durch alle Gemächer des Palastes, brechen die Türen auf, plündern die Schätze, zerschlagen die Weinfässer […]. Andere dringen in die Kapelle des Erzbischofs ein und plündern den Altar, reißen die Bischofsgewänder auseinander, und während sie alle gottesdienstlichen Geräte mit eifernder, nein geifernder Gründlichkeit zugrunde richten, entdecken sie dort jemanden, der sich aus Furcht in einen Winkel verkrochen hat, und töten ihn im Glauben, es sei der Erzbischof, nicht ohne frohlockende Schmährede, sie hätten nun endlich einmal der leichtfertigsten Zunge Mäßigung beigebracht. Doch als sie erfuhren, dass sie die Ähnlichkeit getäuscht hatte und der Erzbischof sich in der Kirche des hl. Petrus sowohl durch die Heiligkeit des Ortes als auch die Festigkeit der Mauern schützte, rotten sie sich von allen Seiten zusammen, umlagern die Kirche und bemühen sich mit großem Fleiß, die Mauer zu durchbrechen, zuletzt drohen sie sogar, Feuer anzulegen, wenn ihnen der Erzbischof nicht sofort ausgeliefert werde. Als nun die im Innern sahen, dass die Bevölkerung entschlossen auf seinem Tod bestand und die Menschen nicht allein durch Trunkenheit, die ja mit der Zeit abzunehmen pfl egt, sondern auch durch zähen Hass und eine gewisse fanatische Wut angetrieben wurden, raten sie ihm zu dem Versuch, mit veränderter Kleidung aus der Kirche zu fl iehen und die Belagerer zu täuschen; dadurch könne er das heilige Gebäude vor der drohenden Einäscherung und sich vor der Todesgefahr retten. […] Ein schmaler Zugang führte aus der Kirche in den Schlafsaal und wieder heraus in den Vorhof und in das Haus eines Domherrn, das an die Stadtmauer angrenzte. Dieser hatte nach Gottes gnädiger Fügung zur Rettung des Erzbischofs wenige Tage vor dem Ausbruch des Aufruhrs von diesem die Erlaubnis erhalten, die Stadtmauer zu durchbrechen und sich eine kleine Hintertür anzulegen. Dort führte man den Erzbischof hinaus, und nachdem man für seine und seiner Begleiter Flucht Pferde herbeigeschafft hatte, ritt er davon, durch die Finsternis der dunklen Nacht aufs Günstigste davor geschützt, von Entgegenkommenden erkannt zu werden. […] So rückte der Erzbischof am vierten Tage nach seiner Flucht, von einem stattlichen Heer geschützt, vor die Stadt. Als die Kölner das bemerkten und erkannten, dass sie dem Angriff einer so großen erbitterten Menge weder an der Mauer noch in offener Schlacht standhalten konnten, da erst begann ihre Wut zu verrauchen, ihre Trunkenheit zu schwinden; und von großem Schrecken erschüttert, schickten sie ihm Friedensboten entgegen, durch welche sie sich schuldig bekannten und bereit erklärten, jede Strafe auf sich zu nehmen, wenn ihr Leben geschont werde. […] Zitiert nach: Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, herausgegeben vom Förderverein Geschichte in Köln e. V., Bd. 1: Antike und Mittelalter, Köln 1999, S. 121 126 1. Fassen Sie die Textaussagen über die Stellung des Erzbischofs als Stadtherr und Reichsfürst zusammen. 2. Diskutieren Sie, warum sich aus dem vergleichsweise geringfügigen Anlass ein solch gewalttätiger Aufstand entwickeln konnte. 3. Finden Sie aktuelle Beispiele für Vorgänge nach dem gleichen Muster. 1 Der Stadtvogt (lat. advocatus urbis) leitete die Hochgerichtsbarkeit und die Verteidigung als Vertreter des Stadtherrn, weil Geistliche kein Blut vergießen durften. 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100Nu r z u P üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc h er V er la gs | |
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