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151 85 90 95 100 105 110 115 (z. B. Kreditmärkte für Bildungsdarlehen), die anderen auf Gesamtschulen, Quoten, spezielle Förderung und Steuerprogression. Auch Piketty verwendet die Meritokratie als normatives Kriterium für das Gelingen einer Gesellschaftsordnung. Denn nur im Zurückbleiben hinter diesem Ideal ähnelt ja unsere Gesellschaft derjenigen um 1800, mit der sie Piketty vergleicht. Was hingegen Gesundheit und Lebenserwartung angeht, Bildung, Freizeit und Konsum, die Chance Verbrechensopfer zu werden, oder die Chance, einen Prozess zu gewinnen, hat sich die Lage der kapitalarmen Bevölkerungskreise – also unsere Lage – durchaus stark verbessert. Nur dass eben nach wie vor die Vererbung von Kapital als Schlüssel zu allen möglichen anderen Privilegien sehr ungleich erfolgt. Doch ist die Meritokratie überhaupt ein sinnvolles Gesellschaftsmodell? Oder ist sie nur eine moderne Oberschichtenideologie, von der die einen behaupten, sie sei verwirklicht, und die anderen, der Staat müsse daran noch arbeiten? Kann man sich denn eine Gesellschaft vorstellen, in der auf die Frage „Wem verdanken Sie ihren Erfolg?“ die Antwort „Wenn ich es recht bedenke: ausschließlich mir selbst!“ nicht merkwürdig wirkt? Michael Young hatte die reine Leistungsgesellschaft 1958 nicht zufällig in Form einer Satire eingeführt, um auf einige ihrer Probleme hinzuweisen. Sie fangen bei dem Umstand an, dass man soziale „Vererbung“ von Vorteilen nur dann völlig ausschließen kann, wenn man den Eltern die Kinder genau so wegnimmt wie den Kindern das Vermögen der Eltern. 45 50 55 60 65 70 75 80 Aufgaben 1. Interpretiere die Karikatur (M 5). 2. Stell dir vor, du lebst in einem Land, in dem das Leistungsprinzip (M 6) gänzlich verwirklicht ist: a) Was fällt dir auf? b) Verfasst in Partnerarbeit ein Streitgespräch darüber, ob ihr in einer solchen Gesellschaft leben wollt. Außerdem brauchte man Schulen, die egalitär und perfekt auf das spätere Berufsleben vorbereiten, „Humankapitalgesellschaften mit unbeschränkter Haftung“ sozusagen. […] Young selbst fragte, wie Individuen in einer perfekten Meritokratie damit zurechtkämen, dass dann auch alle ihre Misserfolge allein ihnen zugerechnet würden. Anders formuliert: Würden die Leute wirklich an Meritokratie glauben, verlören in dieser recht viele Bürger jede Selbstachtung. Wie kritikfähig und leistungsbereit wären umgekehrt Eliten, denen jedes Gefühl dafür fehlt, dass auch Glück und günstige Umstände dazu gehören, um erfolgreich zu sein? […] Die Debatte über das Konzept der Meritokratie, […] enthält keine Empfehlungen für oder gegen Erbschafts oder Vermögenssteuern. Aber dass man Herkunft für ganze Schichten neutralisieren und für perfekte soziale Mobilität sorgen kann, ohne in einem gesellschaftlichen Albtraum zu landen, schließen ihre Ergebnisse aus. Wenn die Wirklichkeit vom Ideal der Chancengleichheit und des rein leistungsabhängigen Erfolgs abweicht, liegt es darum nicht nur an der Wirklichkeit, sondern mindestens so sehr am Ideal. Jürgen Knaube, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 4.5.2014, S. 18 6.1 Soziale Ungleichheit Nu r z u Pr üf zw ck n Ei ge nt um es C. C. Bu ch ne r V er la gs | |
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