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2 Henry van de Velde: Arbeitszimmer, 1899 Rekonstruktion im Wohnhaus von Karl Ernst und Gertrud Osthaus, Hagen Ästhetisierung des Alltags Der sich um 1900 herausbildende und bis 1914 reichende Jugendstil war recht kurzlebig, erfasste jedoch in ganz Europa viele Lebensbereiche, darunter Kunst, Architektur, Mode, Tanz und auch Alltagsgegenstände, wie z. B. Küchengeräte und Besteck. Es wurden auch ganze Räume samt Ausstattung im Jugendstil entworfen, wie z. B. das Arbeitszimmer von Henry van de Velde (1863 1957, Abb. 2). Die charakteristischen Formelemente des Jugendstils, wie die fl ießenden Linien und schwingenden Pfl anzenformen, die die Vasen links und rechts oben auf den Regalen zeigen, sind hier zu fi nden. Verbunden mit dem fl oralen Muster der Tapete im Hintergrund ergibt sich ein ornamentaler Gesamteindruck, der aber von den klaren Formen der Möbelstücke gemildert und kontrastiert wird. Der Begriff Jugendstil wurde von der ab 1896 in München erschienenen Wochenzeitschrift „Jugend“ abgeleitet. In Frankreich und Belgien wird der Stil Art Nouveau genannt, in den angelsächischen Ländern Modern Style, in Italien Stile Floreale, in Spanien Modernismo und in Österreich Sezessionsstil oder Wiener Stil. Vorläufer dieses Stils waren die Theorien von William Morris (1834 1896), der die Erneuerung des Kunsthandwerks forderte und die nachfolgende Arts-and-Crafts-Bewegung (s. Exkurs) gründete. Mit der Erneuerung der Kunst im Jugendstil rebellierten die Künstler gegen historistische* Stilnachahmungen und akademische Traditionen. Sie forderten einen modernen, zeitgemäßen Stil und propagierten ein Leben im Einklang mit Natur und Kunst, das Reformkleid (besonders weite und bequeme Kleidung), die Freikörperkultur und den Ausdruckstanz. Künstler und Kunsthandwerker schlossen sich zu neuartigen Künstlerkolonien* (Arbeitsund Wohngemeinschaften) und Produktionsstätten zusammen, wie z. B. dem 1907 gegründeten Deutschen Werkbund. Exkurs: Arts-and-Crafts-Bewegung In England besann man sich auf das Ideal mittelalterlicher* Handwerksbetriebe und lehnte als Gegenreaktion die industrielle, maschinengefertigte Massenproduktion ab. Die Arts-and-Crafts-Bewegung forderte um 1880 durch eine strengere Qualitätskontrolle und bessere handwerkliche Ausbildung eine völlige Erneuerung des Kunstgewerbes und der handwerklichen Traditionen. Die von William Morris gegründete Firma Morris, Marshall, Faulkner & Co. entwickelte einen originellen Dekorationsstil, der großen Einfl uss auf die angewandten Künste ausübte. Das hier gezeigte Tapetenmuster mit der fl oralen Komponente (Abb. 3) ist ein typisches Produkt aus diesen Werkstätten. Wichtigster Vertreter dieser Bewegung war der Architekt Charles Rennie Mackintosh (s. 198 f.). 3 John Henry Dearle: „Iris“-Tapete, entworfen für Morris & Co, 1902 N u r zu P rü fz w e c k e n E ig e n tu m d e s C .C .B u c h n e r V e rl a g s | |
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