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1.1.3 Die Barbaren und der Niedergang des Römischen Reiches in der Spätantike

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Abbildung: Nachzeichnung eines Medaillons, 4. Jh., Blei, Durchmesser 8,5 cm.

 Analysieren Sie, wie Aufnahme und Ansiedlung von Germanen im Römischen Reich auf dem Medaillon dargestellt und bewertet werden.
Die Germanen werden als leicht bekleidete bzw. unbekleidete Menschen dargestellt, denen die römischen Kaiser, die von Soldaten umgeben sind, Aufnahme gewähren. Die Germanen sind jeweils kleiner als die Kaiser, ihre Physiognomen sind nicht derart ausgeformt wie im Falle der Römer. Die Kaiser sitzen, die Germanen stehen oder knien und nehmen eine bittende Haltung ein. Die Aufschrift verweist darauf, dass die Aufnahme im Verständnis der Römer als ein Gnadenakt gedeutet wird, der gegenüber den Barbaren eine Wohltat darstellt, die ihnen eine zivilisierte (und damit verbunden: städtische) Lebensweise ermöglicht.

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M1 Ein „ungezähmtes Menschengeschlecht“?

1.Benennen Sie Eigenschaften, die Ammianus den Hunnen zuschreibt.
Ammianus beschreibt die Hunnen als Nomaden, die ihr gesamtes Leben lang ortlos sind. Sie werden charakterisiert als überaus wild und kriegerisch, sie nehmen keinerlei Rücksicht auf sich und andere, werden von Geburt an auf die Rolle des Kriegers vorbereitet. Sie werden als hässlich, nachgerade tierartig beschrieben, als schmutzig, mit Fellen bekleidet, die sie tragen, bis sie auseinanderfallen. Sie leben auf ihren Pferden, die Frauen auf Wagen, sind gänzlich kulturlos, haben keine Religion, verfügen nicht über moralische Maßstäbe, wollen gänzlich ungebunden sein, akzeptieren Führung nur situativ.
2.Entwickeln Sie Thesen, wie sich die Charakterisierung der Hunnen erklären lässt.
Die Hunnen bedrohten das politische Gefüge, das die Römer vor ihren Grenzen geschaffen haben. Sie erscheinen den Zeitgenossen als überaus gefährlich und unbesiegbar, über ihre Herkunft, über ihre Ziele und Strategien ist kaum etwas bekannt. Mit den herkömmlichen militärischen und politischen Mitteln (etwa die von den Römern häufig genutzten Strategien, Gegner zu besiegen, indem Auseinandersetzungen in deren Lager ausgenutzt werden oder indem potenzielle Gegner zu Bundesgenossen gemacht werden, Geldzahlungen erfolgen oder sie in das Reich aufgenommen werden) scheinen die Hunnen nicht besiegt oder eingehegt werden zu können. Vor dem Hintergrund der geringen Kenntnisse über sie und angesichts ihrer militärischen Erfolge gelten sie Ammianus als besonders fremd, eine Mischung von Mensch und Tier, die als besonders gewalttätig und hemmungslos erscheint – und nur deshalb militärisch so stark. Weil sie ohne jede Zivilisation zu sein scheinen, bieten sie auch keine Möglichkeit der Kommunikation oder des Bündnisses, eine politische Einhegung scheint völlig unmöglich, weil sie unberechenbar sind. Als das absolut Fremde können sie nur militärisch besiegt werden.
3.Christliche Schriftsteller, die Ammianus’ Berichte kannten, verbreiteten in der Spätantike und im Mittelalter die Vorstellung, die Hunnen seien von Gott geschickt worden, um Sünder zu bestrafen. Bewerten Sie diese Vorstellung und legen Sie Ihre Kriterien offen.
Die Hunnen werden von Ammianus als Teufel beschrieben, deren Gestalt und deren Handeln nur zu einem Teil als menschlich verstanden wird und deren Taten als derart fremd, brutal und unzivilisiert erscheinen, dass sie nicht dem menschlichen Verstand entsprungen zu sein scheinen. Auch die Tatsache, dass die Zeitgenossen nur wenige Kenntnisse über die Hunnen hatten und diese im Kontext ihrer Expansion rasch vorstießen und sich zum Teil rasch wieder zurückzogen, haben einen Beitrag dazu geleistet, dass die Hunnen in der Spätantike und im Mittelalter als Werkzeug der Bestrafung durch Gott verstanden worden sind.
Timo Stickler, Die Hunnen, München 2007

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M2 Einfall der Hunnen in Rom

„Die Invasion der Barbaren.“
Gemälde des spanischen Künstlers Ulpiano Checa von 1887.
1.Benennen Sie Elemente des von Ammianus vermittelten Barbarenbildes (M1).
Elemente der hier dargestellten Barbaren sind: ungezügelte Wildheit, leichte Bewaffnung, hohe Geschwindigkeit, keine Ordnung, aber enorme Durchschlagskraft, eine Masse von Menschen, die kaum individuelle Merkmale haben; Eroberer, die keine Grenze zu kennen scheinen. Auf die Zeugnisse menschlicher Zivilisation in ihrer Umgebung scheinen sie nicht zu achten.
2.Die Entstehungszeit des Gemäldes verweist auf das späte 19. Jahrhundert und die Geschichte der Bildung von Nationalstaaten. Erläutern Sie, inwieweit dieses Gemälde daher auch als eine politische Stellungnahme verstanden werden konnte.
Das Eigene, die als Ergebnis westlicher Zivilisation verstandene Nation, die als Hüterin von Kultur und Geschichte gilt, ist gefährdet durch das Fremde, das ungezügelt nach der Zerstörung strebt. Nur die Nation, die dem Fremden gegenüber wachsam bleibt, sich stets gegen das Fremde rüstet und sich ihrer Werte und Stärke bewusst ist, vermag zu überleben.

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M3 Die Aufnahme von Germanen in das Reich und ihre Folgen

1.Stellen Sie dar, welche Ziele die Westgoten mit dem Überschreiten der Donau verfolgten. Was versprechen sich im Gegenzug die Römer von der Aufnahme der Westgoten ins Römische Reich?
Die Westgoten suchten durch das Überschreiten der Donau und durch die Aufnahme in das Reich Schutz vor (hier nicht näher benannten, gemeint sind aber die Hunnen) kriegerischen Gruppen, die von Osten kommend großen militärischen Druck auf den südosteuropäischen Raum ausübten. Die Römer versprachen sich von der Aufnahme der Westgoten und der Ansiedlung in Thrakien die Verstärkung ihres militärischen Potenzials, weil die Westgoten versprochen hatten, auf die Seite der Römer zu treten. Außerdem schien die Aufnahme der Westgoten die Kosten für das eigene Heerwesen reduzieren zu können.
2.Analysieren Sie, unter welchen Bedingungen die Westgoten aufgenommen werden. Wozu verpflichten sich die Goten? Welche Zusagen machen die Römer?
Die Westgoten versprechen, sich gegenüber den Römer friedlich zu verhalten und sich als Hilfstruppen für die Römer zur Verfügung zu halten. Ammianus spricht auch von Goldzahlungen. Die Römer bieten eine Ansiedlung innerhalb des Reiches in Thrakien und damit Schutz an.
3.Fassen Sie zusammen, wie Ammianus Marcellinus die Ereignisse des Jahres 376 beurteilt.
Ammianus sieht in der Aufnahme eine zentrale Schwächung des Römischen Reiches. Bevölkerungen, die bislang die Grenzen des Reiches bedrängt hätten, seien aufgenommen worden in der Hoffnung, Hilfstruppen zu gewinnen. Die Römer hätten sich damit aber einen unkalkulierbaren und mächtigen Feind auf das eigene Territorium geholt.
4.Bewerten Sie die Einschätzung von Ammianus. Vergleichen Sie diese mit aktuellen politischen Diskussionen (siehe dazu auch M3 auf S. 15).
Ammianus sieht Gefahren für das Reich vor allem von außen. Die Aufnahme von Barbaren gilt ihm als Aufnahme der „zukünftigen Zerstörer des Reiches“. Aus seiner Sicht tragen dafür allerdings Römer die Verantwortung – Heerführer nämlich, die sich nicht dem Kampf gestellt hätten, sondern sich von der Aufnahme westgotischer Hilfstruppen erhofften, die Grenzen sichern und Kosten sparen zu können. Ammianus bewertet dies als Fehlverhalten Einzelner, nicht aber als Problem des politischen Systems oder der politischen Elite insgesamt. Faktisch vertritt auch er damit die Auffassung, dass Gefahren für das Gemeinwesen von außen (durch die Barbaren nämlich) kommen, nicht aber ein Ergebnis von gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Problemen im Innern des Reiches sind.

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M4 Warnung vor den Westgoten

1.Fassen Sie Synesios’ Kritik an der Integration der Westgoten ins Römische Reich zusammen. Vor welchen Gefahren warnt er?
Synesios hält die Aufnahme von Westgoten ins Römische Reich für gefährlich. Die Römer würden sich nicht mehr auf das eigene militärische Potenzial verlassen, sondern nur mehr auf die westgotischen Heere. Damit verbunden sei der Aufstieg von Westgoten in der militärischen und zivilen Hierarchie des Reiches. Die westgotische Elite gebe sich nach außen römisch, bleibe im Kern westgotisch, verachte die römische Ordnung und Lebensart. Rom sei gewissermaßen durch die westgotischen Barbaren unterwandert worden.
2.Arbeiten Sie heraus, welche Alternativen zur Kooperation mit den Westgoten der Autor aufzeigt.
Synosios sieht als Alternative die Rückkehr zu einem möglichst weitreichenden System der Rekrutierung römischer Bürger im Sinne einer Militärpflicht. Außerdem müssten sich die Römer wieder auf ihre militärischen Tugenden aus der Zeit der Expansion erinnern und die Westgoten aus ihren Positionen in Militär, Verwaltung und Senat verdrängen.
3.Entwerfen Sie eine Rede, in der Kaiser Arcadius zu den Auffassungen des Synesios Stellung nimmt. Diskutieren und bewerten Sie die beiden Positionen.
Elemente einer Rede des Kaisers Arcadius könnten sein:
  • Das Interesse der römischen Bürger an einer Militärpflicht sei gering, die Kosten für die Aufrechterhaltung einer Armee, die aus Römern bestehe, zu hoch – nicht nur wegen der Kosten für die Unterhaltung der Armee, sondern auch, weil damit die Bürger anderen Geschäften und Tätigkeiten entzogen würden.
  • Die Westgoten hätten sich außerdem um Rom verdient gemacht und sich als verlässliche Bundesgenossen erwiesen, die sich ihre Position im Staat und im Militär verdient hätten.
  • Rom habe von der Aufnahme der Westgoten profitiert und die Westgoten hätten sich dem römischen Lebensstil angepasst und ihre Loyalität bewiesen.

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Abbildung: Gotische Adlerfibel aus Gold und Edelsteinen, 5. Jh.

 Erklären Sie, welche Bedeutung das Kreuz auf der Brust des Vogels haben könnte.
Heute wird angenommen, dass die Symbolik der gotischen Adlerfibeln sehr stark aus der Verbindung mit der romanischen Kultur geprägt sind: Die Adler verweisen demnach nicht auf ein spezifisch gotisches Element, sondern auf das römische Herrschaftszeichen, das für Macht und Stärke steht. Die Goten kamen mit dem Christentum seit dem 4. Jahrhundert in näheren Kontakt. Die Christianisierung erreichte die gotische Elite besonders früh. Mithin kann angenommen werden, dass das Kreuz auf das Christentum verweist.

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Seite 29
M5 Über das Verhältnis von Westgoten und Römern

1.Erläutern Sie, wie sich die Einstellung des Westgotenkönigs Athaulf zum Römischen Reich entwickelt hat. Welche politischen Ziele hat er nach eigenen Angaben früher verfolgt, was strebt er jetzt an?
Athaulf habe zunächst nach der Zerstörung des Römischen Reiches und nach einer völligen Umgestaltung der politischen und kulturellen Verhältnisse gestrebt. Aus dem Römischen Reich habe er ein gotisches Reich machen wollen. Er erkannte aber, dass dieses Ziel nicht zu erreichen gewesen sei. Deshalb habe er sich die Erneuerung und Wiederherstellung römischer Macht und römischer Kultur auf die Fahnen geschrieben.
2.Arbeiten Sie heraus, warum Athaulf seine politischen Ziele geändert hat. Wie bewerten Sie die dafür genannten Gründe?
Paulus Orosius betont zwei Elemente:
1. Die Vorstellung Athaulfs, ein gotisches Imperium zu schaffen, seien gescheitert an Wildheit und Unbotmäßigkeit der Goten, die sich nicht unter die Gesetze und das Gewaltmonopol eines Staates hätten fügen wollen.
2. Seine Gattin, Galla Placidia, Schwester des weströmischen Kaisers Honorius, habe großen Einfluss auf ihn gehabt.
Bewertung: Da die Goten ja bereits seit vielen Jahrzehnten im engen Kontakt mit den Römern lebten, viele Goten innerhalb des Reiches herausgehobene Positionen einnahmen und vor allem die Elite stark romanisiert war, ist die Vorstellung, Athaulf habe das Römische Reich vernichten wollen, um ein barbarisches Reich zu errichten, wenig realistisch. Athaulf kann verstanden werden als ein Politiker und Heerführer, der innerhalb des Reichsverbandes agierte und ihn nicht von außen zu zerstören strebte.
3.Der Ehefrau von Athaulf, Galla Placidia, wird großer Einfluss auf den Westgotenkönig zugeschrieben. Erörtern Sie in einem Brief an Athaulf, mit welchen Argumenten sie ihn für einen Ausgleich mit den Römern gewonnen haben könnte.
Abhängig von der Bearbeitung durch die Schülerinnen und Schüler.
Elemente könnten sein: Galla Placidia könnte darauf verweisen, dass die Westgoten als Bundesgenossen der Römer, die ihnen gegen die Hunnen Schutz geboten hätten, dem Römischen Reich verpflichtet seien. Sie seien nur deshalb in das Reich aufgenommen worden, um es zu schützen. Sie hätten die hochstehende römische Zivilisation und die Friedensordnung im Reich schätzen gelernt, ihnen seien wichtige Position in Verwaltung und Heer des Reiches zugefallen, von daher könnten sie sich nicht gegen die Römer stellen, sondern seien Teil des Reiches.
Stefanie Dick, Der Mythos vom „germanischen“ Königtum. Studien zur Herrschaftsorganisation bei den germanischen Barbaren bis zum Beginn der Völkerwanderungszeit, Berlin 2008
Die Germanen. Europas geheimnisvolles Urvolk, Der Spiegel. Geschichte, Heft 2/2013

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